Der Stau (III/1)

„Jetzt guck dir den da vor uns an, fährt einen dicken Firmenwagen und macht auf Chef. Kann mir genau vorstellen, dass er eigentlich nur eine Charge ist. Vertritt die Firma und sitzt den halben Tag im Auto, die restliche Hälfte im Foyer und wartet darauf, dass sich ihm einer erbarmt. Aber wahrscheinlich ist er doch irgendwie wichtig, besser noch, als diejenigen, die nur im Büro sitzen und gar nicht wissen, was sie da tun, weil es nichts zu tun gibt. Immer mit devotem Tonfall und nach Vertragsabschluss mit peinlich anbiedernder Jovialität.“ „Was lästerst du so, der muss schließlich auch eine Familie ernähren und hat es bestimmt nicht leicht. Du bist doch nur sauer, weil wir hier festhängen. Kaum losgefahren hast du wahrscheinlich schon den Eindruck, das Leben sei vorbei. Aber denk doch einfach mal daran, was sein wird. In den nächsten Wochen. Urlaub!“ „Ja, ist schon gut.“ „An der italienischen Küste entlang von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten schippern. Ein eigenes Boot.“ „Gemietet.“ „Aber keine anderen Leute darauf und schlafen können wir auch da, die Kojen sind echt groß.“ „Hast schon Recht, das vergisst man so schnell, wenn man so festhängt. Reden nicht alle von einer mobilen Gesellschaft? Wir sollten demnächst lieber mit der Bahn fahren, das ist wesentlich stressfreier und das Auto kann auch nicht aufgebrochen werden.“ „Wahrscheinlich, das nächste Mal wird einiges anders, versprochen. Aber jetzt…“ „…stehen wir.“ „Ja, und ab morgen machen wir jeden Abend in einem neuen Hafen halt und genießen die Umgebung. Alles schon klar gemacht.“ „Hoffentlich wird es so, wie du denkst und nicht so ein Reinfall, wie letztes Jahr. Eine Woche Wandern über die Dolomiten. Am ersten Tag schon blaue Flecken und Blasen und jeden Tag wurde es schlimmer.“ „Dafür haben wir jeden Abend gut gegessen, war doch auch nicht schlecht und was du da gesehen hast, hat dich auch in den Bann gezogen.“ „Toll, senkrecht gestellte Landschaft, da brauchst du auch nur nach Anröchte in die Steinbrüche zu fahren und dich auf die Seite legen, dann hast du den gleichen Anblick.“ „Jetzt wirst du aber ungerecht. Wenn ich dich da oben gesehen habe, wie du in die Landschaft geschaut hast, dieser Blick, diese Zufriedenheit. Nur weil es dieses Jahr bei deinen Bekannten nicht so gut ankam, findest du es jetzt blöd.“ „Ja, wäre auch lieber mit denen auf dieser Insel bei Dänemark gewesen. Soll richtig gut gewesen sein.“ „Kann ich mir vorstellen, immer schick, immer dicke, ob am Strand, ob auf Shoppingtour, ob abends im Restaurant.“

„Ja, auch das ist Urlaub, nicht immer diese Aktivitäten. Man muss sich nicht immer beweisen müssen, was man doch so alles kann.“ „Immerhin ist es besser, sich selber etwas zu beweisen, als das Gefühl zu haben, man müsse es anderen beweisen. Mit Klamotten, mit beruflichen Erfolgen, mit Schmuck und vor allem Auto. Was kommt dann dabei rum? Zwei Wochen anstrenge; kannst du dich nicht mehr erinnern, wie anstrengend das war?“ „Das war vor allem anstrengend, weil du dich zurück gezogen hast, immer mehr, mit jedem Tag mehr. Du hättest eben dabei sein müssen. Mitmachen.“ „Mitlaufen, Mitläufer sein. Nur weil alle es so machen.“ „Gemeinschaft erleben.“ „Mit Dingen und Ritualen, die mir nicht gefallen. Nachmittags um drei den ersten Gespritzten Weißwein oder Caparol Spritz. Und dann angesäuselt durch den Rest des Tages, nein, das ist nicht meine Welt.“ „War doch auch nett.“ „Hast du eigentlich nicht gemerkt, dass ihr zum Schluss jeden Tag mehrere Flaschen Sekt schon am Nachmittag intus hattet?“ „…also ich fand es sehr lustig.“ „Ja, ein zwei Tage kann ich da auch prima mitmachen, aber über zwei Wochen, das geht mir doch zu weit. Und ihr musstet euch auch beweisen, wer das Meiste vertragen hat.“ „Na immer noch besser, als sich jeden Abend Franzbrandwein auf die Füße kippen und dann in Betten nächtigen, denen man ansieht, dass die Vorschläfer nicht geduscht haben.“

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