Wahrheiten

Beim Lesen in seiner Lieblingswochenzeitung, über die er sich auch manches Mal ärgert, stellt er sich die Frage nach Wahrheit. Dabei muss er an ein Gespräch denken, das er am vorigen Tag geführt hatte. Es ging um einen Text, der angezweifelt wurde. Ja, Zweifel sind wichtig, denn allzu oft werden Vermutungen und Weitergegebenes zur inneren Realität der Beteiligten. Was ist denn eigentlich Wahrheit? Er kann es nicht genau sagen. Letztlich wird es immer verschiedene davon geben, weil die Menschen ihre eigene Agenda mit sich herumtragen, weil sie Situationen eigentlich niemals völlig objektiv betrachten und bewerten können. Wer etwas sieht und erlebt, macht sich meist nicht bewusst, dass der gleiche Vorgang aus einer anderen Perspektive völlig anders aussieht. Zwischendurch geht er auf die Terrasse, sieht dort die Katze auf der türkisblauen Decke liegen, die er ihr dort ausgelegt hat und freut sich. Er tritt an sie heran, streichelt ihr über das weiche Fell und deckt sie zu. Seine Wahrheit ist, dass dieses Tier immer wieder zu Besuch kommt und das Streicheln genießt. Aus ihrer Sicht sieht es vielleicht ganz anders aus. Sie kommt, weil sie die Ruhe und das Ungestörtsein genießt und es eben einfach nur erträgt, wenn alle paar Stunden fremde Hände kurz mal eben über den Rücken und unter dem Kinn kraulen. Zwei Wahrheiten einer Situation. Vielleicht denkt sie aber auch gar nichts dabei und alles spielt sich nur im Kopf des Autors ab, der einen Erzähler entwickelt hat, der über das Leben einer fiktiven Figur schreibt und dabei vielleicht Anleihen an einer erlebten oder erzählten Realität nimmt. Was ist Wahrheit also! Vielleicht wird sie durch die schiere Anwesenheit von Texten geschaffen oder zumindest verändert. Wie sagte doch Searle – Wer spricht, der handelt. Anders gesagt: Wer schreibt, verändert die Realität der Welt.

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