Sätze rotieren lassen

Am Abend sitzt er allein vor seinem Rechner, seit Stunden schon hat er noch einige Arbeiten zu erledigen, die über die Woche nicht geschafft wurden. Das macht ihm aber nichts aus, er summt sogar dabei. Zu summen verschafft ihm immer eine gewisse Genugtuung, warum auch immer. Zwischendurch schreibt er etwas auf einen Schmierzettel. Eine Übung, um den Geist frei zu machen. Schreibe innerhalb einer Minute alles auf, was dir zu einem Satzanfang einfällt. Es geht nicht darum, dass es richtig geschrieben wird, sondern um das Schreiben an sich. Pausen sind verboten. Für diesen Tag hat er sich folgende Satzanfänge ausgedacht:
1. Ich mag es, wenn …
2. Ich fliege, wenn…
3. Ich lausche, wenn…
4. Ich hoffe, wenn…
5. Ich verzweifle, wenn…
6. Ich genieße, wenn…
Doch dann wird er aus seinem Flow gerissen, weil irgendwer alle zehn Sekunden eine Nachricht schickt und das Gebimmel nervt.

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fiesel

Draußen ist alles grau, manchmal ziehen Nebelschwaden durch die Landschaft. War es am Vortag noch leidlich schön gewesen mit Sonnenschein und Kälte, fieselt es nun. Ganz leichter Regen durchfeuchtet nach und nach alles. Seine Kleidung ist in den letzten Stunden schwerer geworden als er es sich wünschte. Außerdem kriecht die Kälte überall hin. Herr Nipp macht Pause vom Graben, stützt sich auf den schweren Spaten als ein Spaziergänger mit schwarzem Hund herabkommt: “ Na, spielen wir Arbeiterdenkmal?“ Er lacht und geht seines Weges. Das Wort , welches Herrn Nipp einfällt soll hier nicht geschrieben werden. Er atmet noch ein zwei Mal ein und aus und dann geht es weiter. Wenn er sich ärgern würde, würde er sich ärgern, was hätte er davon?

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mal eben gehen

Er merkt schon selbst, wenn sich Menschen in seiner Gegenwart irgendwie unwohl fühlen. Das ist nichts Schlimmes, denkt er dann, nicht jeder kann damit umgehen, dass man lieber die Wahrheit sagt, als sich mit geheuchelter Nettigkeit einzuschmeicheln. Herr Nipp glaubt wirklich, dass die Leute ihn lieber mit seiner ehrlichen Meinung kennen sollen. Wer ihn dann trotzdem noch mag, mit dem kann er selbst wahrscheinlich etwas anfangen. Aber es passt eben nicht immer, eine verhaltene Stimmung breitet sich aus, dann findet er einen guten Grund, sich freundlich zu verabschieden. Vielleicht hat er noch einen weiteren Termin, zu dem er jetzt zu früh kommt, vielleicht aber muss er auch einfach nach Hause, weil sonst der Ofen ausgehen würde und gerade an diesem Tag ist es schließlich furchtbar kalt. Zu Hause angekommen, legt er tatsächlich Holz auf, kocht sich auf der Ofenplatte dann Wasser für zwei Tassen Tee, Fenchel und Apfel, legt eine Scheibe auf, setzt sich gemütlich in einen der beiden schwarzen Ledersessel aus den 60ern und schnappt das nächstbeste Buch. An diesem Abend liest er „Die kürzeste Geschichte der Zeit“ von Stephen Hawking. Dazu passt die Musik von Botticelli Baby wirklich wunderbar. Zeit und Raum einfach erklärt, das kann sogar er verstehen. Und das ist so spannend, dass er den Tee kalt werden lässt.

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Fettkraut

Vor Jahren hatte ihm ein Jugendfreund, wie man so schön sagt, hier jemand, mit dem er in der Jugend sehr wohl befreundet war, die Freundschaft allerdings nicht der Zeit standgehalten hatte, ein Glas mit einem Fettkraut in Moos geschenkt. Alle Jubeljahre muss er es gießen, weil das Wasser kaum aus dem wenigen Löchern im Deckel entweichen kann. Alle Jubelmonate lässt er auch einige fliegende Läuse in das Glas, damit sich das Kraut einige davon fangen und sie verdauen kann. Herr Nipp ist inzwischen der Meinung, dass Fettkraut zwar einer der unspektakulärsten Fleischfresser unter den Pflanzen ist, aber ihre Bescheidenheit rührt ihn immer wieder an.

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Junge Zöpfe

Lange hatte er wahrscheinlich nicht mehr darauf geachtet, aber an diesem Tag speziell war ihm etwas aufgefallen. In der Stadt, ganz dicht beieinander stehend, hielt sich eine größere Gruppe von Mädchen auf, alle so zehn bis sechzehn Jahre alt. Alle wild durcheinander schnatternd. Das soll jetzt nicht despektierlich zu verstehen sein, aber tatsächlich hörte sich das Ganze an als sei eine Schar von Enten unterwegs. Vielleicht auch Hühner. Vor der Buchhandlung hatte sich eine dicke Traube an Menschen versammelt, vor allem weiblich, was wohl damit zu tun hat, dass etwa 70 Prozent der Buchkunden weiblich sind, so zumindest die getätigte Aussage einer Freundin, die in diesem Laden einige Jahre leitend tätig war oder war es leidend? Keine euphorische Stimmung, eher eine eigenartige Spannung lag über der Szene, als würde gleich etwas passieren. Herr Nipp kam es so vor, als warteten sie auf ein wichtiges Ereignis, welches das ganze folgende Leben verändern würde. Und tatsächlich, ein Wagen fuhr vor, es entstieg eine wirklich gut anzusehende Frau, die einen langen Zopf über der linken Schulter trug. Später erfuhr Herr Nipp über ein Plakat an der Eingangstür, dass es sich um eine bekannte Young Adult Autorin handelte, die hier eine kleine Lesung mit Autogrammstunde halten sollte. Gefühlt die Hälfte der Zuhörenden trug auch Zöpfe, junge Zöpfe scheinen wohl in zu sein.

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