Authentizität

In einer Einführung in die Literatur hat Herr Nipp einen Satz entdeckt, der etwa folgendermaßen lautet: –Egal wie Figuren heißen und was Erzähler von sich behaupten, sie sind Fiktion.– Nun dreht er seit Stunden Gedanken und fragt sich, ob er noch real wäre als Figur. Das Dilemma in dem er steckt ist auch wirklich fies. Entweder er ist eine Figur, wenn man so will ein Charakter, oder aber real, im ersten Fall könnte er weder erleben, er würde erlebt, noch reflektieren, ihm würden ja Reflexionen in den fiktiven Kopf gelegt. Er könnte nicht fühlen und kreieren, alles wäre bloß Ausgeburt eines Anderen. Und was eigentlich ist mit der Vergangenheit? Dürfte sich überhaupt ein Autor, der dann nicht Erzähler wäre, anmaßen, so viele Dinge zu erfinden und gar noch mit eigener Biografie vermischen? Herr Nipp lächelt irgendwann und denkt: Wisst ihr was? Das ist mir doch egal, das müsst ihr entscheiden. Ich bin schließlich real.

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Zeitlöcher

Zwischendurch ergeben sich in Herr Nipps Leben immer wieder Situationen, die die Zeit einfach verschlucken. Das erste Mal wirklich bewusst wurde ihm dies als achtjähriger Bengel, als er im Werkzeugkeller vor sich hin gewerkelt hatte. Dort hatte seine Mutter unter anderem noch Knopfpressen stehen, mit denen sie selbst mit Stoff überzogene Bettwäscheknöpfe herstellen konnte. Leider sind diese Gerätschaften irgendwann entsorgt worden. Heute wären sie eine Sensation. Er hatte auf jeden Fall seinen Spaß daran und als er nach oben kam war seine Mutter glücklich sauer. Stundenlang hatte er sich im Keller aufgehalten und nicht auf Rufe reagiert. Alle hatten sich Sorgen gemacht. Erwartet hatte er heftige Schimpftiraden der Mutter, aber sie war einfach froh über das wieder gefundene Kind und nahm ihn ganz fest in den Arm.

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Nachschlaf

Völlig erschöpft war er Tags zuvor früh zu Bett gegangen, hatte die Katze, die gerne in Haus schläft, für einige Stunden vorher noch herein gelassen. Er selbst weiß nicht, ob er überhaupt noch wach war, als der Kopf das Kissen berührte. Der neben einigen schönen Träumen erholsame Schlaf lässt ihn früh aufwachen, kurz danach trippelt auch der Gartentiger die Treppe herunter und will möglichst schnell genau dorthin, wo das Leben tobt, raus. Herr Nipp setzt zwei Tassen Tee auf, wie jeden Morgen und macht das übliche Essen fertig, lässt letzteres auf dem Tisch stehen, zieht sich eine warme Jacke über und genießt den Tee am Teich. Der Rotkehl singt im Walnussbaum. Du kleiner Sänger, denkt er, bist der wahre Star, der König des Gartens.

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Diestelfinken

Das Telefon hat eben geklingelt, ein guter Freund, der anrief, nichts Wichtiges, es geht in erster darum, einige Worte im Interim zu wechseln, während der derzeitige Standort gewechselt wird oder die Arbeitsaufgabe. Aber gerade dieser Austausch liegt ihm am Herzen. Absichtslosigkeiten. Herr Nipp dehnt sich dabei, denn eben war er draußen auf der Holzbank eingeschlafen, die Sonne kann ihm nichts anhaben, da der Strohhut den ganzen Kopf und das Langarmshirt die Arme bedeckt. Trockenheit und Klima, Politik und Finanzen werden angesprochen, auch der letzte Museumsbesuch noch einmal. Der Freund bezeichnet sich wie so oft als Kulturbanause, erkennt aber ungefragt und eigenständig die Parallelen zwischen der Selbstkrönung Napoleons und der Inauguration Trumps und verweist auf die bekannten Bilder. Plötzlich zwei selten gewordene Zwitschertöne, am Teich sitzt trinkend ein Paar Diestelfinken. Herr Nipp liebt diese wunderschönen Flieger und das nicht erst seit dem Bild von Fabricius und dem Roman von Donna Tart. Schon als Kind war er jedesmal begeistert, wenn er welche sah, obwohl die Färbung des Gesichts ihn jedesmal an die alte Reichsflagge erinnert.

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und jetzt?

Und jetzt?

Neben sich hat er ein Glas mit Tonic und Mineralwasser im Verhältnis 1 zu 4 stehen. Der Arm liegt locker über der Lehne. Mit einem Rucken und Zucken durch den ganzen Körper wacht er auf, er muss wohl eingeschlafen sein. Glückerweise ist das Glas nicht umgekippt. Herr Nipp trinkt es aus, genießt den leicht bittersüßen Geschmack, reckt sich und steht auf. Und jetzt wird gestaubsaugt, denkt er, nein, Scherz, bei dem Wetter geht er lieber raus.

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