rosafarbener Morgen

Die Sonne ist durchgebrochen. Die letzten Wolkenfetzen haben sich in Wohlgefallen aufgelöst. Gegen zehn vor acht steht das Haus in vollem Sonnenlicht. Herr Nipp tritt auf die Terrasse, freut sich über den Tag. Die recht frühe Stunde. Er hat einen Umlauf länger geschlafen als gewöhnlich. Zum ersten Mal seit Wochen will er herunter kommen, ruhig werden. Er muss es wohl auch, war zunehmend nervöser geworden. Will endlich wieder er selbst sein. Wandern und diese Landschaft genießen.

Nicht dass er naiv wäre, er weiß um welchen Preis sich mit Hilfe der Automobilität ein Urlaub erkauft. Trotzdem, dieses Mal kann er keine Rücksicht auf die Zukunft nehmen, es geht um jetzt. Ruhe. Rast hatte er im Altmühltal gemacht und gesehen, wie schwerwiegend eine Autobahn die Landschaft beeinträchtigt. Wie sehr der Kanal schutzwürdiges Gebiet durchschnitt. Glücklicherweise hatte man immerhin den Bach recht naturnah weiterhin durch die Landschaft mäandern lassen. Dort war den Menschen und dem Wasser die Katastrophe einer Begradigung erspart geblieben. Verglichen mit der Ruhr durchaus kostensparend. Deren Oberlauf hatte man vor Jahrzehnten mit beträchtlichen Mitteln kanalisiert und seit einigen Jahren versuchte man diesen Prozess mit noch höheren Summen umzukehren. Was oben das Wasser ableitete führte unten zu massiven Überschwemmungen. Immerhin war man inzwischen so weit, Fehler der Vergangenheit zuzugeben. Natur ist romantisch, das meint aber nicht geordnet, sondern von gewaltiger Kraft. Jeder Eingriff zugunsten einer wie auch immer gearteten Ordnung kann im Endeffekt zum Gegenteil führen, denn immer entstehen Folgen. Unabsehbar.

Herr Nipp reckte sich, musste an den mittelmäßigen Witz mit den zwei Planeten denken, die sich treffen. Meint der eine: „Mir geht es schlecht.“ „Bist du krank?“ „Ja, ich hab Menschen.“ „Mach dir keine Sorge, das geht schnell vorbei.“ So muss es wohl sein.

Trotzdem konnte er an diesem Morgen die wunderbare, die unglaublich schöne  Aussicht genießen. Nadelholzwälder der nicht ganz so hohen Berge malten sich scharf vor dem Himmel ab. Die weißen und gelblichen Felswände des Rosengartens in den Dolomiten lagen noch im Schatten, während das daneben liegende Latemar in rosafarbenem Licht erstrahlte. Hier würde er wirklich gerne wohnen wollen, dachte er einen Augenblick, dann an zu Hause. Für einige Wochen.

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