Es ist anders

All die schönen Fotos hat er in den letzten Jahren wohl mitbekommen und tatsächlich hat sogar er bemerkt, dass sie immer schöner, ja, geradezu perfekt geworden ist. Vor einigen Jahren hatte er die junge Frau kennengelernt. Damals war sie noch normal gekleidet, hatte ein hübsches, aber kein schönes Gesicht. Er hatte sie damals Gesichtchen genannt. Heute würde sich die Frage stellen, ob so ein Diminutiv, also eine neckische Verkleinerungsform überhaupt noch statthaft wäre. Tatsächlich stellt auch Herr Nipp sich manchmal die Frage, was in dieser ach so freien Ära überhaupt noch gesagt werden kann und darf. Da gibt es ja jetzt N-Worte (grammatikalischer Nonsens), I-Worte (ebenso), H-Worte (auch das) und was noch alles, ein generisches Maskulinum wird angezweifelt und so weiter. Häuptling sagt niemand mehr, weil es eine Verkleinerungsform ist, also jetzt Haupt, Schmetterling wird folgerichtig zu Schmetter, Einhörnchen zu Eichhorn, Rotkehlchen zu Rotkehl, Pfifferling zu Pfiffer und Mädchen zu Mad, nein, das ist ihm zu mad. Bleiben wir bei der Sache. Die junge Frau also ist inzwischen zu einer sogenannten Influencerin geworden und hat immerhin an die 100.000 sogenannte Follower. Sie bringt Fotos aus der ganzen Welt und hat immer die schicksten Klamotten an, niemals mehrfach die selben. Als Herr Nipp sie dieser Tage auf der Straße vor seinem Haus wiedertrifft, sieht sie allerdings fast genauso aus wie früher. “Ja gut, in den sozialen Netzwerken bin ich eine Kunstfigur geworden, da laufen ständig Filter drüber. Aber eigentlich bin ich tatsächlich die gleiche geblieben.“ Herr Nipp ist beruhigt.

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