Aussichten

„Die Frage muss wohl gestellt werden, naja, vielleicht lohnt es sich in Zeiten wie diesen zumindest, ernsthaft darüber nachzudenken. Denn seien wir ehrlich, der Friede ist nur ein scheinbarer. Unter der trügerisch spiegelglatten Oberfläche wüten Kämpfe.“ Herr Nipp lehnt sich zurück, liest den Zeitungsartikel noch einmal, glaubt versatanden zu haben und shcraubt sich den Rest mit jeweils kleinen Pausen ins Hirn. Auch er kennt diesen Krieg, der nicht mit Waffen geführt wird. Nennen wir ihn mal weniger hochgehängt Kulturkampf. Niemand steht festgewurzelt auf der einen oder anderen Seite, es gibt kein schwarz, kein weiß, kein gut und böse, das wäre so einfach, das wäre zu einfach. Du weißt nicht, was das Gegenüber denkt, wie es es handelt. Von außen betrachtet scheinen die Fronten verhärtet. Verbrennermotoren gegen elektromobilität, jugendliche Klima- und Umweltaktivisten gegen die bekannten alten Sünder, die alles verbockt haben? Menschen, die ihre Sprache so benutzen, so wie sie es gewohnt sind, ohne sich Gedanken über Klassismus, Rassismus, Homophobie und Geschlechtergleichheit zu machen und die neuen Sprachregulierer, die lieber die Sprache gendergerecht gestalten würden und am liebsten gleich einige Wörter völlig löschten? LGBT*+ gegen die althergebrachten Geschlechter mit Heterobeziehungen? Einehe gegen Polyamorie? Querdenker gegen die Stimmen der Wissenschaft? Putinversteher gegen Putinverächter? Die Themen sind unüberschaubar und immer ein gefundenes Fressen für die rechten und linken Populisten. Die Scharmützel sind heftig, Fronten versinken im Schlamm, die verbale Kriegsmaschinerie ist festgefahren. Eine Gesellschaft reibt sich auf, so scheint es. Herr Nipp sieht das völlig anders. Für ihn ist dieser Kampf ein Zeichen für funktionierende Demokratie. Solange gesprochen wird, schweigen die Waffen. Er gehört mal, und zwar in Teilaspekten, auf die eine, mal auf jene Seite, entscheidend für ihn die guten Argumente und manchmal ist er gleichzeitig auf beiden Seiten. Das mag andere vielleicht irritieren, trägt aber letztlich ein gutes Stück zu seinem Glück bei.

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