Im Leder

Auf dem Wohnzimmertisch liegt das dicke Portemonaie, nicht weil er so viel Geld darin hat. Er vergisst es einfach immer wieder, all die Quittungen heraus zu nehmen. Darum ist das Teil auch so speckig abgewetzt, obwohl es erst ein Jahr alt ist. Jetzt fällt es ihm auf und er macht sich daran aufzuräumen. Drei Einzahlungsbelege findet er, eine Quittung aus dem Sozialkaufhaus, in dem er gerne manchmal stöbert, zuweilen finden sich da schöne Sachen, eine weitere aus der Apotheke seines Vertrauens, er hat sich dort wohl Mundschutz und Lakritz gekauft. Das ist ja sowieso so eine Sache. Er liebt gutes Lakritz und in Apotheken gibt es manchmal richtig leckere Sorten und er weiß, wenn er eine Packung kauft und sie noch vor Ort öffnet, dann möchte die Apothekerin seines Vertrauens auch eines haben und sie bekommt es gerne. Ups, da ist ja auch der Bon aus dem Messergeschäft, den er letztlich gesucht hatte. Zwei fünf-Euro-Scheine, auf den einen hat jemand eine Zahlenfolge geschrieben, vielleicht eine Telefonnummer, wahrscheinlicher irgendwas anderes. Nicht fehlen darf eine Baumarktquittung. Jede Woche mindestens einmal ist er dort. Ja, auch noch eine zweite und dritte. Am Ende sind es insgesamt neun Stück. Irgendwas lässt sich dort immer finden. Irgendwas braucht er auch immer zum Reparieren. Eine vom Gartenzenter am anderen Ende des Städtchens, in dem es auch das dunkle Bier der Josefsbrauerei gibt, das er so gerne trinkt. Eine alte Spielquittung vom Lotto. Klar weiß er, dass es höchst unwahrscheinlich ist, jemals zu gewinnen, aber manchmal überkommt es ihn eben doch. Ein Eintrittsticket vom letzten Urlaub, man, das scheint schon so lange her zu sein. Erinnerungen ploppen auf wie instabile Blasen. War das eine schöne Zeit. Weitere Zahlungsbelege zeigen sich. Und ganz zum Schluss findet er einen inzwischen fast völlig verblichenen Zettel, den er sofort wieder einsteckt. Zwar wird er nie vergessen, was er vor einigen Jahren darauf notiert hat, aber er hütet ihn wie einen Schatz, weil dieser eine Halbsatz sein Leben mehr prägt, als jeder andere es könnte. „Unzufrieden, aber glücklich“

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