Sonntagsspaziergang morgens

Durch die Wälder zu gehen, ist vielleicht so ein deutsches Ding, denkt Herr Nipp, mit all den Vorurteilen behaftet, die uns von der Romantik eingehaucht wurden. Ja, die erhabenen Wälder, die Eiche, und vor allem diese richtig großen Buchen, mächtige Stämme mit mächtigen Baumkronen. Die Fichten natürlich, ja, …naja, die gab es mal. Vielleicht stehen da noch ein paar gut gewässerte junge Dinger herum, die noch nicht von den Borkenkäfern entdeckt wurden, sonst nur dürre Gerippe und frei geräumte Flächen. Der Harvester als bester Gefolgsmann des Rindenschädlings vollzieht nur noch, was gemacht werden muss, schlägt seine Furchen in den Wald, hinterlässt ein Weltuntergangsszenario, so sein sonntäglicher Begleiter, oder wie er an anderer Stelle so treffend wortspielerisch vermerkte, Walduntergangsszenario, das doch mehr an den Expressionismus des ersten Weltkriegs als die Romantik erinnere. Die Landschaft durchwühlt, die Wunden sind tief geschlagen und doch finden die beiden Freunde Zeichen der Hoffnung. Da sammeln sich Pfützen, kleinste Feuchtbiotope, in den Radspuren, in denen jetzt schon Molche leben. Da keimen neue Pflanzen aus graubraunem Boden, da flitzt eine Unzahl an Kleinstlebewesen herum und wer weiß, vielleicht ist diese Katastrophe ja der Startschuss zu etwas Neuem, zum Umdenken sowieso. Und als die beiden ganz analytisch einen kleinen Waldbereich betrachten, der vor vierzehn Jahren vom Kyrillsturm umgeweht wurde und seitdem ohne Anpflanzung von allein wieder hoch gekommen ist, können sie diesen Spaziergang wirklich hoffnungsfroh beenden. Sie kehren noch kurz auf einen Kaffee bei einem weiteren Freund ein und halten Rücksprache mit ihm, der sich quasi beruflich mit dem Wald beschäftigt. Ja, vielleicht sei es ein Startschuss, nein, allgemein glaube er nicht, dass die Waldbauern vernünftig würden. Einigen denken dann wohl doch: „Einmal Fichte geht noch.“

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