Baumleichenwald

Zu dritt sind sie ziellos gewandert. Jeder mit Rucksack und Proviant. Jeder mit einer Jacke gegen den Regen und vor allem mit guter Laune. Eigentlich sollte es ja nur ein Spaziergang werden, wer jedoch nach dem Prinzip geht, dass bei jeder Abzweigung neu entschieden wird, in welche Richtung zu gehen ist, kann tatsächlich, ohne zu wissen, wohin es tatsächlich geht, stundenkang weiterlaufen, ohne auf eine siedlung zu treffen. Die drei Spontanen haben auf diese Weise tatsächlich mehr als drei Stunden durch die ehemaligen Wälder des Arnsberger Waldes bewegt. Bewegt waren sie auch, weil die Wälder so ehemalig schienen. Überall Kahlflächen, dort wo noch vor zwei Jahren Fichten standen, teilweise auch Baumleichenwälder. Abgestorbene Bäume, die noch nicht gefällt wurden oder nicht mehr werden. Ob nun, um den Tieren Nahrung zu bieten oder um zukünftigen Wäldern Humus zu liefern, klar wird das nicht so ganz. Gewinner des Waldsterbens haben sie jedoch schon jetzt ausgemacht. Farne, Fingerhut und Ginster sind auf dem Vormarsch, an manchen Stellen wirft sich, dank des Daueregens der letzten Tage, auch weiteres Grün ins Zeug, die Diasporen, welche 70 Jahre und länger unterdrückt wurden, weil sie kein Licht bekamen, werden aktiv und plötzlich sprießt es überall. Herr Nipp sagt da immer wieder, dass in jeder Krise auch eine Chance auf Neues steckt. Das weiß er ja bekanntlich aus eigener Erfahrung. Zwischendurch ein Stopp in dem Schuppen eines alten Jagshauses mit wunderschöner Tür, ganz in der Nähe der ehemaligen dicken Buche, die leider vor Jahren gestorben ist. Getränke, Kuchen und Kekse und natürlich der saftige Apfel vom Markt. Halbe Stunde Pause, schöne Gespräche über Freunde und die Welt. Vor allem darüber, wie sehr sich die eigene Welt verändert hat, seitdem die Pandemie so deutlich ins Leben getreten ist. Es gibt eigentlich keine Begenung, seien wir ehrlich, in der das Thema nicht in irgendeiner Weise vorkommt. Alle drei vermissen, was vor anderthalb Jahren noch als selbstverständlich galt. Konzerte und Kneipe, Museum und Kino, Theater und einfach abends raus gehen, wohin auch immer. Freunde und Bekannte treffen, ohne Bedenken, sich in den bulli setzen und wohin auch immer fahren, einfach so. Solche Pausen tun einfach gut und irgendwann geht es weiter. Als es nach drei Stunden wieder einmal anfing zu regnen war alles noch soweit in Ordnung, erst das Aufkommen stürmischen Windes und als sie einen Baum in ihrer Nähe brechen, bersten und fallen hörten, machten sie sich auf den schnellsten erwartbaren Weg in Richtung Straße, um sich abholen zu lassen. Es erschien ihnen irgendwie richtig, dass die Bäume nicht gefällt werden, aber auch ziemlich gefährlich, sich dort in der Nähe aufzuhalten, wenn es stürmisch wird.

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