Kuchenspende

Seit einigen Stunden sitzt er bereits an seinem Arbeitsplatz und macht das, was ein Mann macht, der unauffällig bleiben möchte, er arbeitet. Er arbeitet all die Akten ab, die er eben abzuarbeiten hat, zwischendurch vielleicht von irgendwelchen Kollegen unterbrochen, die noch ganz unbedingt etwas „Dienstliches“ mit ihm zu besprechen haben, aber das kommt selten vor an diesem Tag, weil er nunmal meistens, wie die anderen auch, nicht hier sitzt, sondern zu Hause und „Homeoffice“ macht. Die meiste Arbeit kann ja nunmal wirklich vom eigenen Schreibtisch erledigt werden. Manchmal kommt vielleicht auch eine Onlinekonferenz dazu, mal über dieses, mal über jenes Portal, egal, alles unsicher. Seit Stunden nun ist er allerdings einer besonderen Situation ausgesetzt, denn da am anderen Rand des Tisches steht ein Teller mit einem Stück Kuchen, das jemand oder eine Jemandine mit freundlicher Absicht mitgebracht hat. Total nett eigentlich und er hatte sich auch wirklich darüber gefreut, hatte sich einem Kaffee geholt und etwas davon gegessen, ein zwei, vielleicht auch drei vier Gabeln, mehr aber wirklich nicht, denn das Gewissen hatte plötzlich alle Alarmsirenen schrillen lassen „Hey, Alter, du willst doch abnehmen!!!“Oh Gott erbarme, ja, natürlich, er will ja eigentlich Diät machen, da kann er wirklich nicht zwischen den Mahlzeiten, wie ein fußbehaarter Hobbit ein weiteres Frühstück machen. Und der Kuchen sieht nicht nur lecker aus, er ist ein Fest der Sinne! Er hatte das Gebäckstück also zurückgestellt, an den Rand des Tisches, der ohne sich zu strecken wirklich nicht zu erreichen ist. Zwischendurch geht der Blick eben seine eigenen Wege und dann wandert dieser auch schon zum Kuchenteller. Herr Nipp allerdings bleibt standhaft. Er macht seine Arbeit und natürlich wird er das Stück mit nach Hause nehmen, wird sich dort einen richtig guten Kaffee in seiner Bialetti zubereiten, vielleicht auch noch Besuch erwarten und dann in aller Ruhe genießen. Die virtuellen Akten arbeiten sich tatsächlich tatsächlich schneller ab als gedacht, der Feierabend rückt näher und Herr Nipp freut sich schon etwas. Eine viertel Stunde später hat es es tatsächlich geschafft, will den Kuchen einpacken und gehen. Da muss er feststellen, dass die sehnsüchtig erwartete Selbstbelohnung nicht mehr da ist. Irgendwer hat sie gegessen. Das kann doch nicht wahr sein, er greift sich an den Kopf und da bemerkt die etwas klebrigen Finger.

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