Schnee zögernd

Niemals, das weiß Herr Nipp eigentlich, sollte man bei auch geringfügigem Niederschlag einfach so in den Himmel gucken, ohne die Augen zu schützen. Es ist einfach äußerst unangenehm, wenn dir ein Regentropfen mitten auf die Linse plätschert. Und ganz abgesehen davon kann man vielleicht einige Sekunden gar nichts mehr sehen, weil man die Augen reflexhaft zukneifen muss. Daran hält sich Herr Nipp natürlich, er weiß außerdem, dass das ruckhafte in den Nacken Legen des Kopfes dazu führen kann, dass ihm schwindelig wird. Und es ist ihm einfach peinlich, wenn er plötzlich mit den Armen herumrudern muss und irgendetwas sucht, an dem er sich festhalten kann. In früheren Jahren hätte er vielleicht selbst bei anderen darüber gelacht oder zumindest gelächelt. Aber es ist ja nicht so sehr seine Sache, sich über die Mängel der Anderen lustig zu machen. Als er an diesem Tag jedoch in die Stadt geht, hört er, wie sich zwei Frauen hinter ihm lautstark unterhalten. Da beide ihre Masken vorschriftsgemäß tragen, glauben sie wohl, lauter reden zu müssen, weil die andere nicht so gut verstehen könnte. „Da, schon wieder eine Schneeflocke!“ Er muss sich an den schönen alten Spruch von Peter Meilchen erinnern, der lautete: „Da, schon wieder nichts!“ Und trotz seiner Vorsicht, trotz seines Wissens, schaut er ruckhaft gen Himmel, sieht die ersten Flocken fallen, zögernd und groß. Und eine dieser ersten Flocken landet genau in seinem Auge, er kneift selbiges zu, verliert wegen des unkontrollierten Kopfhebens die Kontrolle und gerät ins Straucheln. Eine der Frauen greift beherzt zu und stützt ihn: „Na, haben wir heute einen zu viel getrunken?“

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