Bäume (4. und letzter Versuch)

Ganz ohne Umschweife und anderweitige Überlegungen setzt er sich da(r)nieder, klappt das Arbeitsgerät auf, todesmutig die Kopfschmerzen missachtend, die mal wieder in seinem Kopf wüten oder besser gesagt anzeigen, wie sie demnächst wüten werden. Dabei kann er gar nichts dafür, denn er war recht früh im Bett und hat nachweislich lange geschlafen, er hat auch keinen Alkohol getrunken. Aber wenn sie in Wellen angeschwappt kommen und das gesamte Nervensystem blockieren, wenn er vorher Änderungen der Wahrnehmung hat, wenn plötzlich das ganze Leben, die ganze Welt nur noch Schmerz sind, dann kann er sowieso nichts mehr machen. Die empfindlichen Augen tränen und die Farben sind durchweg etwas zu grell, die Hände werden taub und es gibt nichts anderes mehr als den Kopf. Also hat er gelernt, sich zu setzen, tief und gleichmäßig zu atmen und den Kampf nicht zu verlieren. Wenn der Cluster im Anmarsch ist und er voraussehen kann, was passieren wird, dann setzt er sich irgendwo hin. Er konzentriert sich auf etwas, es ist egal was. Er versucht sich in die Sache zu vertiefen, einen Ausweg zu suchen und ein paar Mal hat das auch schon funktioniert. Also dieses Mal das Schreiben. Die erste Woge durchzuckt ihn, nimmt ihn mit aus dieser Welt in eine andere, die nur noch tiefer Schmerz ist. Eine verzerrte Welt, in der er gerne einen Halt finden würde und so verharrt er, flucht und weint, die Hände verkrampft, nimmt nichts mehr wahr, er kann es nur nicht haben, dass ihn jemand berührt, dann wird es noch schlimmer, unangenehmer, geradezu fies. Nicht genmug, dass er sein ganzes Leben damit zu kämpfen hat, Menschen zu berühren (immerhin hat er diesen Kampf irgendwann gewonnen), in Kombination mit dem urtriebigen Cluster, der ihn aus der Reserve lockt wie nichts sonst, ist es eine Marter. Glücklicherweise hat er in solchen Zeiten keine anderen Schmerzen, denn alles wird in einen Wattebausch gehüllt. Doch dieses Mal scheint er einen Punkt im tosenden Schmerzmeer zu finden (zugegeben eine ziemlich platte Metapher), hält sich fest und nimmt wahr, dass die Finger die ersten Buchstaben, zwar etwas unbeholfen, doch immerhin mit einer gewissen Bewegung in den Rechner setzen. Daraus werden Worte, ein erster Satz und tatsächlich meint er zu bemerken, wie sich alles löst, eine Klarheit auftaucht, die ihn davon ablenkt, dass der ganze Körper nun taub und verspannt ist, dass er eigentlich seine Kleidung wechseln müsste, weil er völlig durchgeschwitzt ist. Die ersten Sätze sind gesetzt, es wird weitergehen. Er steht auf, geht mit steifen Schritten zum Badezimmer, entkleidet sich, lässt das heiße Wasser laufen. Gleich wird es ihm besser gehen. Gleich wird er zum Tisch zurück kommen und den Rest des Textes schreiben.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.