Dieses Mal, das weiß er ganz genau, wird es nicht klingeln, denn niemand würde auf die dumme Idee kommen, in dieser Zeit spät nachts unerwartete Besuche zu machen. Früher, ja, da gab es solche Sachen. Da kamen Freunde und Freundinnen auch schon mal um eins oder sogar später, einfach so, brachten vielleicht eine Flasche Wein mit oder sogar eine Kiste Bier. Er kann sich daran erinnern, dass einen Abend plötzlich 20 Leute da standen und um Einlass baten. Warum nicht. Dieses Jahr aber? Er kann sich sicher sein, dass dieses Jahr kein Besucher kommen wird. Es ist still geworden und Kontakte selten. Im Hintergrund hat er einen Film laufen, er versteht ihn natürlich nicht, da dieser auf Französisch ist. Ein Kurzfilm, soll erotisch sein, ist aber vor allem herrlich unbeholfen. Manchmal, wenn bestimmte Markerwörter vorkommen, die sogar er versteht, wechselt er vom Text zum laufenden Bild. Manchmal bleibt er sogar an den wirklich schönen Bildern des Meeres, der Natur, der Menschen hängen, meist jedoch nur für wenige Momente. Fragmente der Wahrnehmung. Da er den Film nicht mitverfolgt hat, bleiben ihm die Bilder auch merkwürdig und wohltuend fremd. Es ist einfach, manchmal reichen einzelne Bilder oder Filmsequenzen für Ideen, manchmal braucht er Ablenkung, um die Wörter zu formen oder im Kopf umzustellen, überflüssige zu tilgen oder was auch immer. Und mal ganz ehrlich, es war früher wirklich schöner, als er noch unerwarteten Besuch bekam oder er selber nachts einfach mal raus ging, andere zu besuchen, in seiner schwarzweißen Hängetasche einen Rotwein oder im Sommer zuweilen auch mal einen weißen. Er kann sich erinnern, dass sie dann zuweilen auf einem kleinen Balkon saßen, in den Himmel schauten und in die hell erleuchteten Fenster der Nachbarhäuser, sich darüber wunderten, dass der schöne dreieckige kleine hinterhausgarten nun zu einer grünen Rasenwüste geworden war oder dass das ältere Pärchen sich gerne nackt im Fenster zeigte. Oder er schaute, welche Freunde er wo treffen konnte, vielleicht in einer Kneipe oder irgendwo am Fluss. Auch nachts konnte man früher am fSommerfluss Menschen begegnen, die nichts gegen einen guten Schluck hatten, mit denen er ein Zigarettchen rauchen konnte. Aber nicht in diesem Jahr, da hat er sich selber zurück genommen, hat die Welt laufen lassen und still gehalten. Seltsam eigentlich, dass er sich so schnell an diese Form des Alleinseins oder der wenigen Kontakte gewöhnen konnte. Schon seltsam auch, dass er seit Monaten nicht mehr so spät im Bett war. Und so ist es gar nicht seltsam, dass der Tag auch heute seinen Tribut fordert und er weiß, dass er das Erlebnis mit den Bäumen am nächsten Tag aufschreiben wird.
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