Der Besuch

Alle Jubeljahre besucht Herr Nipp einen seiner Studienkollegen. Nicht weil er das nicht mag, sondern eher, weil die Zeit damals im Studium doch sehr schön war. Irgendwie macht es doch ein wenig trübsinnig, zu sehen, dass so viele Jahre inzwischen ins Land gezogen sind. Ja, jeder von ihnen ist inzwischen eigene Wege gegangen, auch Irrwege, zugegeben, aber eben doch Wege. Manchmal war es sicherlich steinig, holzig oder stolpert, manchmal allerdings hatten sie auch Autobahnen vor sich und sind schnell wieder auf die Feldwege ihrer Möglichkeiten ausgewichen. Herrn Nipp war sicherlich eine Frage immer wichtig: Was zählt, das Geld oder die Zeit? Letztlich hat er sich, wenn er konnte, meistens für die Zeit entschieden. Denn was kann wichtiger sein als die bewusst gelebte Lebenszeit. Das zu tun, was man selbst für wichtig hält. Dann eben auf ein Stück Karriere verzichten. Was kann schon so toll daran sein, fünfhundert mehr im Monat zu verdienen, aber dafür keine Zeit mehr zu haben, nachmittags im Garten zu burseln oder abends mit guten Freunden ein Bier oder einen Wein im Garten zu trinken und dabei über Welt und Politik, über Philosophen und Theologie zu reden, über Natur und Kultur, über Kunst und Krempel und natürlich darüber, ob es nun besser ist, einen Oldtimer zu fahren oder im Garten Hühner zu züchten. Da es sich eigentlich um eine rhetorische Frage handelt, sie also keiner Antwort bedarf, verzichten wir mal einfach auf das Fragezeichen.
Den ganzen Nachmittag haben die beiden Studienfreunde bei einer und einer zweiten Tasse Kaffee zusammen gesessen, haben die Dinge besprochen, welche ihnen wichtig waren. Nur ein Thema haben sie ausgespart. Und darüber will noch nicht einmal der Erzähler erzählen.

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