Er hat aufgeräumt, besser sollte gesagt werden ausgeräumt. Er hat alle Sachen entsorgt, die schon seit Jahren und Jahrzehnten einfach da herumlagen. Sachen, die einfach nicht mehr so wichtig erscheinen. Immerhin hat er dabei einige Kisten mit Kram und Geprüttel entsorgt. Nicht einfach in die Mülltonne. Seit kurzen hat er entdeckt, dass über eine Kauf-, Verschenk- und Tausch – app viele Sachen loszuwerden sind, ohne dass sie gleich in die Mülltonne wandern mussten. Offensichtlich kann immer irgendjemand irgendetwas gebrauchen. Ja, auch er selbst gehört zu diesen Menschen, die dort Dinge erstehen oder sich schenken lassen. Dieser Tage war es noch ein ganzer Haufen Pflastersteine, die er in einer Nachbarstadt für kleines Geld aufgetan hatte. So fährt er nun regelmäßig dorthin und holt die Brocken ab. Wer weiß, vielleicht reicht es irgendwann, um die Einfahrt zur Garage, die derzeit noch mit Waschbetonplatten aus den Sechzigerjahren gelegt ist, mit historischem Straßenplaster zu bestücken. Er malt sich gerne aus, was das für ein Hingucker wäre. Vor allem dann, wenn demnächst in den Fugen zwischen den Steinen kleine Kräuter wachsen. In den letzten Jahren hat er erkannt, dass diese Ritzen, die normalerweise mit sehr magerem Sand oder Feinsplit gefüllt sind, für einige Pflanzen, die gerne nährstoffarm leben, einen letzten Rückzugsort in ansonsten doch eher überdüngten Gärten darstellt. Und nein, er beseitigt solche Kräuter nicht mit Gasbrennern oder Unkraut-ex. Er freut sich darüber, schaut manchmal in seinen Bestimmungsbüchern nach, um welche Art es sich handelt, und ist stolz, wenn tatsächlich mal etwas seltenes dabei ist. Aber das kommt ehrlich gesagt in Städten doch eher selten vor. Immerhin hat er aus seinen Wegen schon so einige Pflänzchen entnehmen können, die später dann auf den Magerbeeten zu Blickfängen geworden sind.
In einem Regal hat er einige Bücher entdeckt, die ihm merkwürdig vertraut vorkommen, alle außen mit Leinwand versehen, die auf jeden Fall selbst verleimt und gestaltet worden ist. Die Bücher sind alt, sehr alt, stammen aus seiner Jugendzeit. Damals gab es einen Biolehrer, der nur als Vorbild bezeichnet werden kann. Ein Lehrer mit seltsamen Sprüchen und für die Zeit der Achtziger Jahre auch seltsamen Ansichten. Dieser Lehrer legte gemeinsam mit Schülern Teiche an, natürlich; natürlich ohne Folie, abgedichtet mit Lehm und Ton. Teiche, die dann nicht weiter gepflegt wurden, die er im Unterricht aber dazu nutzte, um dort Beobachtungen zu machen, Libellen, Molche, die allmähliche Selbstansiedlung von Wasserpflanzen und Feuchtgebietspflanzen. Ein Lehrer, der es zuließ, dass ein Teil des Teiches verlandete und über Spott nur lächeln konnte. Dieser Mann ( Es war keine Frau, obwohl es auch denkbar wäre, dass es Lehrerinnen gibt, die so handeln, aber damals zumindest nicht in der Schule, die Herr Nipp besuchte. Das muss ja auch mal gesagt werden. Aber eine Biolehrerin, die sich mehr für ihr Auto und ihre Handtasche interessierte oder den Urlaub in der Großstadt, ist damals für Herrn Nipp nicht inspirierend gewesen.) Dieser Mann hatte damals angeregt, doch mal verschiedene Blätter von Bäumen zu sammeln, zu trocknen und zu bestimmen. Daraus wurde für Herrn Nipp ein ganzes Herbarium, das ihn ein ganzes Jahr lang beschäftigte. Zunächst legte er ein Buch für Bäume an. Aus einem quadratischen Fotoalbum entstand diese Sammlung. Dabei sammelte er Blätter, machte Frottagen von der Rinde, versuchte die Bäume und ihre Standorte zu beschreiben und machte sogar Zeichnungen der Gesamtform. „Achtet auf den Habitus!“, hatte der Biolehrer immer wieder gesagt. Er suchte aus Bestimmungsbüchern Informationen und die lateinischen Namen und irgendwann war das Buch voll. Eine Note hatte er dafür nie bekommen, weil es nicht so wichtig war, das Werk zu zeigen. wichtiger war es ihm damals, es gemacht zu haben. Schnell folgten weitere Bücher zu Kräutern, Gräsern und Moosen. Insgesamt erstreckte sich die Sammlung auf über 300 Exponate.
Leider haben die Bücher lange Zeit im Keller ihr Dasein gefristet, sind durch Feuchtigkeit nicht mehr repräsentabel. viele Blätter und Pflanzen sind in den Zustand der Zersetzung übergegangen. Herr Nipp blättert ein letztes Mal durch, etwas traurig, dass er diese Bücher so völlig vernachlässigt und vergessen hatte. Sie wandern nach draußen in den Komposter, das ist er ihnen schuldig. Und vielleicht ist ihm das ja Anregung wieder mit dem Sammeln zu beginnen. Vielleicht finden sich ja auf dieser App auch irgendwo alte ungebrauchte Fotobücher.