Apfelmann

Gerade ist die Sonne untergegangen, der Himmel leuchtet in Orange, auf einem Foto sähe das kitschig aus, aber die Realität von Naturphänomenen kann nicht kitschig sein. Auch dass das gelbe Feld plötzlich grün geworden ist, weil die Lowenzähne ihre Blüten geschlossen haben, ist bemerkenswert.

Herr Nipp ist gerade losgefahren, hatte seinen Diesel, den er selber liebevoll Trecker nennt, angeworfen und fährt gedankenversunken auf dem schmalen Feldweg. Einmal um das Feld herum fährt er, sonst hätte er wenden müssen und dazu hatte er keine Lust. Den ganzen schönen Nachmittag durfte er auf dem Feld helfen. Willkommene Abwechslung in seiner Coronaalleinsamkeit. Nicht, dass er wirklich alleine wäre in dieser Zeit, aber es tut ihm einfach gut, wenn er mit einem Freund zusammen arbeitet. Mal ganz ehrlich, die meisten Leute halten es nicht lange mit ihm aus. Herr Nipp verabscheut zu sehr den Smalltalk, als dass er sich darauf einlassen könnte, also schweigt er dann lieber als zu sprechen. Und fast niemand erträgt auf Dauer schweigende Menschen. Den meisten ist dauerndes und vor allem inhaltsleeres Gebrabbel lieber.

Der Apfelmann allerdings nimmt das hin. Viele Arbeiten laufen so aneinander vorbei, etwa das Verteilen der Bambusstäbe in den Apfelbaumreihen, da kommt man sich nicht zu nahe und jeder kennt seine Arbeit, die Handgriffe sind automatisch. Da braucht man nicht zu reden. Nur wenn sie bestimmte Arbeitsschritte gemeinsam machen müssen, etwa das Stäben, dann stehen sie beisammen und reden. Nicht so sehr Herr Nipp. Eher der Andere. Spannende Geschichten aus der Vergangenheit. Der Zeit beim Zuviel-Dienst etwa, dem Studium damals, Vorbildern, dem Jahr im Ausland auch. Aber vor allem genießt Herr Nipp es, unglaublichen Input zum Thema Natur zu bekommen. Tiere, über das Abwehrverhalten von Ringelnattern zum Beispiel, und Pflanzen, Veredeln von Obstbäumen kommt ihm dabei sogar manchmal zu kurz, von Cryptogamen und Pilzen. Manchmal thematisieren sie auch die Politik oder die Strukturen verschiedener Organisationen. Vor allem aber wird drei bis sechs Stunden lang das Thema Corona ausgespart. Dieser Mann ist eine Fundgrube an Wissen. Und Herr Nipp hört gerne zu. Da kann es dann eben auch passieren, dass es auf dem Feld später wird. Jedes Mal aber, wenn sie die Blüten der Apfelbäume entfernen, weil die jungen Bäume ja keine Energie zu verschenken haben, dann muss sich Herr Nipp überwinden bei diesem Frevel mitzumachen.

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