Vor einigen Jahren hatte Herr Nipp diesen Fisch geschnitzt.
Nein, so geht das nicht.
Es gab dereinst eine Zeit, in welcher Herr Nipp durchaus Freude und Erfüllung im Schnitzen und Schleifen von Tieren empfand, damals war auch der Hai entstanden.
Nein, das ist zu einfach strukturiert.
Damals als der Hai entstand, es war gar keine Absicht gewesen, entdeckte er gerade die Holzbearbeitung für sich.
Na, schon besser, aber vielleicht kann dieser erste Satz noch weiter gedreht werden, denkt Herr Nipp, schließlich soll es um seine Autobiographie gehen, die er aus quasi neutraler Perspektive so verfassen möchte, dass jeder Leser glaubt, ein Anderer habe sie verfasst oder würde sie zumindest erzählen. Als sei die Geschichtensammlung eigentlich eine Erzählersammlung, ein Wettstreit der sich Erinnernden. Zu jedem Kapitel sucht er sich ein Dingsymbol, das motivisch durch den Abschnitt leiten soll. Nicht, dass er so besonders an diesem Hai hängt, der da als Wackeldackelersatz in seinem Auto vorne auf dem Armaturenbrett steht, er weiß aber, dass Leser sich gerne, sehr gerne an die sogenannten Kleinigkeiten hängen, Tiere oder Amulette, die vielleicht sogar etwas mystisch daherkommen. Und ein Hai, der auch noch in seinem grauen Bulli steht, sich bei jeder Bewegung des Fahrzeugs dreht, dabei immer in eine andere Richtung weist, als das Auto und ganz nebenbei auch noch den Namen Mo hat, ist so ein Dingsymbol, an den er fiel, nein an dem er viel aufhängen kann. (Immer diese kleinen Fehler. Glücklicherweise wird der Lektor oder die Lektorin solche Patzer ganz nebenbei löschen, dafür sind solche Menschen doch schließlich da. Herr Nipp kennt da einen Autor, der vor dem Druck im Eigenverlag sein Buch mindestens drei Leuten vorlegt. Mit der Bitte um Korrektur hat er so zumindest drei Leser, denn seien wir mal ehrlich, die meisten Bücher werden nicht oder eher wenig gelesen.) So kann er sich zum Beispiel vorstellen, die berühmte Fahrt ans Meer damals aus der Sicht des Hais zu erzählen. Auch wenn das nicht im wörtlichen Sinne neutral wäre, denn wir wissen ja, dass Haie ziemlich wertend agieren, wenn sie von ihren Erlebnissen berichten. Stellen wir uns doch einfach mal vor, wie die Filme aussähen, würden sie aus der Sicht von Haien gedreht. Etwa „Der weiße Hai“ oder vielleicht „Sharknado“. Diese Filme würden zeigen, dass nicht die Haie, sondern die Menschen wahre Bestien sind, die völlig unverhältnismäßig agieren. Schließlich sind es nicht die Haie, die anderen Lebewesen ihre Extremitäten im Lebendzustand entfernen und die Körper dann in die Tiefe gleiten lassen, nicht die Haie fangen Fische mit Netzen und Sprengstoff. Aber solche Gedanken macht Herr Nipp sich überhaupt nicht, er will seine eigene Geschichte oder besser seine Geschichten erzählen, die Abseitigkeiten des Lebens, die Absurditäten des Seins. Er muss beobachten und es ist einfach besser, wenn er dazu die Rolle anderer Figuren oder, noch effektiver, anderer Dinge einnimmt, denn ein geschnitzter Hai ist ja schließlich kein lebender Hai, der sich vielleicht wirklich seine eigenen Gedanken macht. Seien wir mal ehrlich, ein gerade mal bis zu 7 Millimeter dickes Pflaumenholzstück in Form eines Haies denkt einfach nicht, aber Herr Nipp wird ihm einen Gedanken einhauchen. Das aber besser nachdem er sich die Zähne geputzt hat.