Ein innerer Monolog

Sie sitzt neben ihm, wie immer etwas extravagant gekleidet, nicht aufreizend, auf jeden Fall aber auffallend. Eine junge, eine selbstbewusste, eine sich selbst bewusste Frau. Ihr zierliches Gesicht ist konzentriert, die Hand hält ein zerlesenes Buch, eine dieser gelben Lektüren, die wohl jeder aus seiner Vergangenheit kennt. Schullektüre. Auf jeden Fall von Reclam. Billige Ausgabe, die nach der Pflichtlektüre, nach dem Durchackern mit Bleistift und Textmarker vielleicht noch einige Monate, mag sein einige Jahre im Regal stehen und kurz nach dem Abitur ohne den Hauch eines schlechten Gewissens im Altpapier landen wird. Genau das ist das Reclamvermarktungsprinzip: Literatur to go.
Sie gibt immer wieder irgendwelche Geräusche von sich. Während alle anderen um sie herum belanglos erscheinende Gespräche führen, ist sie offensichtlich recht vertieft, lebt in und zwischen den Zeilen, die sie schon so oft gelesen. Sie liest und kommentiert, spricht vielleicht mit den Figuren, kommentiert und liest. „Boah ey.“ Schweigen, Kopfschütteln. „Wie mies.“ Wieder schweigen, wieder Kopfschütteln. Über längere Zeit nichts. Konzentriertes Nichts. Kaum zu glauben, denkt er, dass die Marquise von O…. heute noch immer aufregen kann.

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