Fensterbänke

Irgendwann hatte eine ältere Künstlerin ihm gesagt, er solle nicht so viele Tische aufstellen, man habe sonst immer einen Platz, dort irgendwelchen Unfug zu deponieren. Dinge, die irgendwann gefunden nun zu Erinnerungsstücken an eine verwirrende Zukunft gerinnen können. Nein, er hat nicht falsch gedacht, die Erinnerung richtet sich immer aus der Vergangenheit in die Zukunft. Man soll nicht glauben, sie richteten sich an die Gegenwart, denn in der gibt es meist nur eine Erwartungshaltung. Tatsächlich hat er sich auch mit dem Aufstellen von Tischen hart beschränkt. Nicht dass zu wenig Platz in seiner Wohnung wäre.  Einen Großteil machen tatsächlich neben den Regalen die leeren Lauf- , Liege- und Sitzflächen aus. Es ist eine klare Entscheidung, dass es lediglich drei Tische gibt. Der eine ist in der Essküche plaziert und sollte eigentlich nur zum Essen dienen, aber nirgends ist es schöner zu arbeiten als am Küchentisch, der zweite steht im Arbeitszimmer, auf ihm liegen wichtige Papiere, die zustauben dürfen bis zu dem Zeitpunkt, da sie wirklich gebraucht werden, einen dritten Tisch, dieser mit Glasplatte, sieht man im Wohnzimmer, der ist lediglich als Träger der diversen Fernbedienungen im Dienst. Meist sind die beiden Gebrauchstische tatsächlich frei, das muss auch so sein, sonst kann man kaum leben und Spritzer vom Essen auf den Blättern und Schreibsachen sind einfach unschön. Dafür hat Herr Nipp in den letzten Jahren seine Fundstücke aus allen Ecken dieses Europas an anderen Stellen deponiert, so dient die Wand im Treppenhaus mit vielen Kistchen und Rähmchen als Erinnerungsstütze an Begegnungen mit anderen werten Menschen. Die Fensterbänke aber beherbergen wahre Schätze, ohne die er kaum noch leben könnte. Große Kieselsteine von der ligurischen Küste oder Kristalle aus den Bergregionen, einige Fragmente eines Fußbodens aus dem neunzehnten Jahrhundert, viele Flaschen mit diversen Verschlüssen, Kerzen natürlich, einige Pflanzen, die aber nur im Winter und frühen Frühjahr, danach werden sie wieder nach draußen gebracht, wenn sie diese Zeit denn überlebt haben. Dort liegen auch einige Bücher, die er gerade liest. Nein, er muss immer verschiedene Bücher gleichzeitig lesen, so hat er die Möglichkeit, wirklich nach Lust und Laune der Wörter ansichtig zu werden. So gibt es keine Ausrede. In jedem Zimmer findet sich ein aktuelles Leseexemplar. Natürlich kann man auch einige Holzstücke und eine Skulptur entdecken, die er vor einigen Jahren ganz unvorhergesehen erworben hatte, eine ganze Sammlung an alten Chemiegläsern aus einer aufgegebenen Schule. So etwas kann nur aus dem Container gesichert werden. Dann stehen da noch Behältnisse, Karaffen, die eigentlich für edle Tropfen gedacht waren, aber nie genutzt werden. Er trinkt einfach zu wenig hartes Zeug.

Die alte Künstlerin hätte ihm vielleicht sagen müssen, dass Fensterbänke der Tod für jede sinnvolle Ordnung sind.

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