Oh Lord, give mir Kraft

Er hat sich an so manches gewöhnt in den letzten Jahren. Ein schleichender Prozess sicherlich, dann fällt auch nicht mehr alles so auf. Es ist wohl weniger eine rauschende Welle, die mit viel Getöse am Strand bricht, vielleicht mehr und eher wie die langsam stetig steigende Tide, die alles umhüllt und unter sich begräbt. Wassergrab einer Sprache. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt. Er hatte sich wirklich damit abgefunden, dass aus dem lateinisch angehauchten Telefon ein Handy wurde, was auch immer das heißen sollte – eine sinnstiftende Verbindung konnte er semantisch nicht herstellen.Vielleicht wäre der alte Begriff „Tricorder“ aus der wunderbaren Serie „Enterprise“, die später nur noch „Startrek“ hieß, noch ganz schön gewesen, nur als Zeichen dafür, dass man endlich in der Zukunft angekommen ist. Manchmal braucht es eben guter Metaphern für die Hoffnung einer Gesellschaft auf Zukunft.
Er hatte sich auch notgedrungen mit den Fehlübersetzungen zugunsten der billigen Synchronisation von amerikanischen Serien wie „Dallas“ und „Denver Clan“, wie „Ein Colt für alle Fälle“ und „Mc Gyver“ abgefunden, auch wenn es nun plötzlich hieß „nicht wirklich“ statt „tatsächlich nicht“ – mal ehrlich, was soll dieser Begriff? Aber egal, auch damit konnte er leben.
Dass Innenstädte nun Cities hießen, dass man bei der Bahn Karten am „Servicepoint“ kaufen musste, all das war zu verkraften. Sogar dass „Teenies“ und inzwischen ältere Menschen ständig die Floskel „Oh, mein Gott“ auf den Lippen trugen. Auch solche grammatikalischen Amerikanismen wie „Das macht keinen Sinn.“ statt „Das ist sinnlos.“ wären abgesehen von den hochgeklappten Zehennägeln vielleicht noch Auslöser kreativer Prozesse gewesen. Tatsächlich hatte auch er selber diese Worte in einem seiner Texte gebraucht.
Neuerdings hatte er allerdings zwei neue Worte entdeckt, die schlagartig seine wenigen verbliebenen Haare hatten ergrauen lassen. Zunächst war er in der Stadt einem Rückenladen begegnet, genannt „Backshop“. Warum man dort allerdings Brote verkaufte, war schon an sich sehr sehr seltsam, wenn nicht gar mysteriös, vielleicht galten in dieser Stadt ja Brote als besonders rückenfreundlich? Der Besuch in einer nahegelegenen Schule, an der er an diesem Tag allerdings zu tun hatte, schlug dem Fass den Boden aus. Alle frisch ergrauten Haare hatten im Moment des Lesens spontan beschlossen, ihn zu verlassen. Dort sollte er mittags an einem „Eatpoint“ sein „Ticket“ für das Mittagessen kaufen. Hätte er noch welche gehabt, so hätte er sich nun wirklich die Haare raufen müssen. Vielleicht wäre ein künstlerischer Umgang mit der eigenen Sprache möglich gewesen, wie ihn seine Kollegin ganz spontan initiiert hatte. Dann hätten die Schuloberen diese Verkaufsstelle „S-Punkt“ genannt. In deed.

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