Laufend Gedichte finden

An diesem Abend hatte er es sich gemütlich gemacht, so gemütlich es eben ging, wenn man in einem Zimmer hockt, das stapelweise voll ist mit Papieren. Solchen, die endlich ausgemistet werden sollen. Solchen, die ihm seit Wochen schon das Betreten dieses Zimmers streitig machten. Alle die Aufzeichnungen, die er sich auf den Sitzungen und Konferenzen macht, die kurz eben seine Ideen und Gedanken skizzieren, viel wichtiger aber, die mitnotieren, was denn da gesprochen, besprochen wurde. Vor sich hatte er immerhin drei Haufen säuberlich getürmt: alles Wichtige, alles halbwegs Wichtige und alles, was brauchbar schien. Zur Tür hin eine wahre Rauminstallation mit geknüllten Papieren, Blättern und Kartonresten, die fein zerrissen waren. Er hockte manchmal, lief dann wieder hin und her. Suchte, verwarf, sortierte, entfernte. Auch wenn das Sammeln noch so sehr im Blut steckt, irgendwann muss geräumt werden. Niemand sollte diese Arbeit den Nachfolgern überlassen, auch wenn dann eventuell mal einige für die Nachwelt wichtige Dinge verloren gingen. Wer braucht schon die Notiz „Die roten Haare fallen immer wieder aus dem Nacken ins Gesicht“ oder jene Randbemerkung zu einem völlig langweiligen kopierten Text über Handlungsstrategien in Ausnahmesituationen „Wenn sich unter den Fingernägeln der rechten Hand mehr Dreck ansammelt, ist davon auszugehen, dass es sich um einen Rechtshänder handelt“. Natürlich niemand, auch wenn die Antwort allein schon in der Frage steckt, auch wenn sie ohne solcherart Beispiele auskommt. Diesen Tag allerdings konnte er auch mit einigen Fundstücken aufwarten, die ihm zu denken gaben, bei denen sich wirklich das Rätsel der Urheberschaft stellte. So eine völlig seltsame Geschichte:

„Die Hausente
Auf dem Tisch vor mir steht eine recht große Hausente, die auf einem Holzbrett befestigt wurde. Der Wasservogel erscheint größer, als man normalerweise vermutet. Insgesamt besitzt der auffällig gefärbte Erpel eine Länge von rund 55,3 cm. Am Gefieder lässt sich das Geschlecht erkennen. Es ist wie bei den Menschen. Die Männchen sind von Natur aus schön. Der auf den ersten Blick schwarze Kopf schimmert bei näherem Hinsehen bläulich und grün und endet in einem orangen Schnabel. Die dunklen Augen scheinen sehr lebhaft, dabei handelt es sich doch nur um Glas. “

Oder jenes seltsame Fragment:

„Sich selbst ins Leben begeben
ahnungsweise sichtbar werden
bei sich bleiben“

Handelte es sich hierbei um ein Gedicht, den Anfang eines solchen oder einfach nur schnelle Notate? Sicherlich aber konnte dem folgenden Text eine gewisse Vollständigkeit inhaltlich wie formal nachgesagt werden.

„Dich
ins Reine bringen
ein(en) Weg zu finden
zwischen Tradition und Selbstbehauptung
Konvention und Rebellion
heraus aus den alten Bindungen
die das Leben einengen
dir das Leben schützen
Den Unterschied erkennen
zwischen dem Wahren
und dem zu wahrenden Gesicht“

Doch bei aller Begeisterung hierfür konnte er sich nicht klären, wo er diesen Text denn wohl abgeschrieben habe.

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