Mäandertal 1

Manche Wege gehen sich einfach. Mit guter Unterhaltung und spöttischem Tiefsinn, mit ernsthafter Ironie, kluger Oberflächlichkeit oder einfach gesagt schönen Gesprächen über Gott und die Welt, über die romantische Anmutung der Landschaft und den steten Wechsel zwischen Schönheit und absoluter Hässlichkeit. Vorbei an Menschen, die im 21. Jahrhundert Mittelalter spielen, aber mit dem Auto angereist sind, nicht mit der Kutsche. Vorbei an früchtetragenden Gebüschen und Ranken, die das rote Gift in geballter Form in die Welt leuchten lassen. „Bittersüßer Nachtschatten – damit könnte man problemlos eine ganze Schar Kinder ruhigstellen, habe ich mal gehört. Soll beim Zerbeißen erst ganz süß schmecken, bevor sich die giftige Bitterkeit im Mund breitmacht.“ Er weist auf eine kriechende Pflanze, die mit ihren eiförmigen Beeren fast verführerisch über eine zerbröselnde Trockenmauer rankt. Daneben stehen alte Pflaumenbäume, hängen voll von ihrer auf den ersten Blick blauen Pracht, die sich bei näherem Hinsehen als dunkles Violett entpuppt. Einige Früchte wandern in den Mund, lassen ihren Geschmack auf der Zunge toben, immer wieder ein unglaubliches Erlebnis.

Eine Weide, die sich über hunderte Meter schmal am Weg streckt, edle Pferde grasen dort ganz friedlich. Wenn sie aufschauen, scheinen sie fast arrogant zu blicken. Auch wenn Pferde nicht gerade zu den Lieblingstieren von Herrn Nipp gehören, so muss er doch anerkennen, dass diese Wesen einen Adel an sich haben. Trotzdem: die Kühe auf der nächsten Weide können ihn viel mehr begeistern. Er kann ihnen fast liebevoll in die Augen blicken und weiß doch, dass eine von ihnen vielleicht, wenn auch nur teilweise, auf seinem Teller landen wird. Wir essen, was wir mögen. Rheinischen Sauerbraten dagegen hat er schon lange nicht mehr gegessen, außerdem geht die Legende, dass die Pferde alle gespritzt sind. Aber seltsam ist es schon, dass die Menschen lieber Kühe verspeisen als Pferde. Also wird aus diesen so edlen Tieren Hundefutter. Das Liebste für die Liebsten.

Das erste Dorf, welches durchquert wird, gefällt durch seine fast altertümliche Schönheit, mit viel Geschmack wurden hier die alten Häuser restauriert, die Gärten angelegt, wie man sich Bauerngärten vorstellt. Als sie an einer Gruppe Einheimischer vorbeigehen meint Herr Nipp: „Sie haben ein wunderschönes Dorf.“ Etwas spöttisch gibt der Wortführer zurück, das habe er ja noch nie gehört. Diese Landbevölkerung hat einen besonderen Humor. Der Bach wird hier von Trauerweiden überhangen, es entsteht ein Gefühl von fast stifterscher Idylle.

Einige Bachbiegungen später, das Dorf wurde längst verlassen, dröhnt ihnen der Lärm des Verkehrs von einer riesigen Autobahnbrücke entgegen. Im Kontrast zur fast lieblichen Landschaft fühlt sich das Ohr an einem anderen Ort. Höllenschlund. Die schnelle Verbindung zwischen Städten fordert ihre landschaftlichen Opfer. Was wäre, wenn man diesen Lärm nutzen könnte, Energie zu gewinnen? Es müssten entlang der Autobahnen akustisch sensible Membranwände aufgestellt werden, die den Krach der Lastwagen und Personenbeförderungsmittel, der Autos und Motorräder aufnehmen. Welche die Schallwellen zu Strom umwandeln. Was hätten wir eine schöne, eine leise Landschaft, in der vielleicht auch das Rotkehlchen wieder die Chance hätte, sein Lied erschallen zu lassen. Adalbert Stifter hätte seine Freude daran, denkt Herr Nipp.

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