Die Kiste VII

Wieder und wieder hatte er die letzten Tage versucht, blind einen Zettel herauszufischen, immer wieder waren ihm die kleinen Textschnipsel entwischt, als wären sie kleine Fische im Aquarium, die nicht gefangen werden wollen. Aufzuchtstation. Herr Nipp hatte schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass diese Blätter ein Eigenleben hatten. Es konnte einfach nicht sein, dass immer wieder so treffende Wörter sich fanden. Vielleicht brauchte die Kiste aber auch einmal Ruhe.

Einen Tag lang blieb sie also ungenutzt, aber spät in der Nacht konnte er es nicht mehr aushalten, steckte zwei Finger hinein und tatsächlich blieb einer dieser papiernen Botschafter haften, wand sich zwar (das zumindest war Herr Nipps Eindruck), doch er ließ sich herausziehen.

In diesem Moment konnte er den Adrenalinstoß verstehen, den jeder Angler wohl empfinden muss, nachdem er viele einsame Stunden am See gesessen hat, die Hände auf dem mehr oder weniger dicken Bauch gefaltet, liebevoll mit vielen Hektolitern Bier gezüchtetes Geschwür. Doch dann eben, wenn der Hecht oder Barsch beißt, wenn der unglaublich faire und männliche Kampf zwischen Bestie und wehrlosem Menschen beginnt und wahrscheinlich sein schnelles Finale im Kescher findet, genau dann also strömen sämtliche Botenstoffe durch den Leib. Ja, dann fühlt man sich abenteuerlich jung. Dann weiß man, es hat sich gelohnt, das Warten, das Ausharren, all die Mühe um die Pflege der Ausrüstung. Der Fisch wird abends noch gebraten auf dem Tisch stehen, mit seinen weißen, leblos starren Augen, die ganz zufrieden nicht mehr schauen.

Herr Nipp zog seinen Fang heraus, schon unglaublich nervös und in Erwartung. Würde es ein Romanentwurf sein, ein Gedicht, nur ein Wort? Der Angler würde auf den Saibling hoffen, die Äsche oder Forelle und wenn alles super lief, vielleicht sogar auf einen ausgewachsenen Lachs. Was aber, wenn der Fang sich als Stichling erweist?

Das Blatt war leer.

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