Unbedarfter Laie

Einige Städte in Deutschland können mit sogenannten Bauhaussiedlungen aufwarten. Jeden Tag kommen hierhin einige Touristengruppen, meist ältere Besucher, die Zeit und Interesse haben. Mit guten Informationen ausgestattet, meist auch von professionellen Vorträgen begleitet stehen sie staunend vor den Vorbildern der internationalen Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts. Obwohl hundert Jahre ins Land gestrichen sind, wirken diese Häuser immer noch seltsam frisch und modern, als seien sie erst kürzlich gebaut worden. Manchmal gerät man als Außenstehender in eine solche Gruppe und weiß kaum, wie einem geschieht, dann kann man entweder dreist mitlaufen und die Informationen umsonst abgreifen, oder aber man verschwindet ganz schnell, weil man ohne intellektuellen Überbau einfach die klare Schlichtheit genießen möchte, dieses Spiel mit der Ästhetik und den Proportionen.

Er spürte, dass seine Anwesenheit letztlich nur stören konnte, brach auf, sich seinen Platz zu suchen. Ungestört sehen, ohne selbst wahrgenommen zu werden. Die Anderen gehen ihren Weg. Die Spuren wahrnehmen, die sie in die Welt ziehen. Er würde wieder einmal warten müssen. Unter dem Vordach eines kleinen Cafés, das sich auf Besucher der Bauhaussiedlung spezialisiert hatte, dementsprechend eingerichtet ist, fand er einen freien Platz mit Aschenbecher. Er bestellte einen schwarzen Kaffee. Wirklich gut aufgebrüht. Die Öffentlichkeit als privater Rückzugsort. Was passiert, wie die Dinge laufen. Um ihn herum scharten sich die Raucher. Zwischenrauch. In den Cafés darf ja im Zuge der Wahrnehmung von Geruchs- und Gesundheitsbeeinträchtigung niemand mehr seines Lasters frönen. Trotz der Kühle müssen sich die Süchtigen nach draußen verziehen, stehen dann in Gruppen eng zusammen, während innen vereinzelt einige Kunden zurückbleiben und sich wundern, dass die da draußen auch noch ihren Spaß haben.

Moderne Menschen, bewaffnet mit technischen Errungenschaften. Die Männer trugen ihre aktuell modernen Vollbärte, die Damen oder besser jungen Frauen bunte Röcke, dazu schwarze oder groß gemusterte Strumpfhosen und hohe hochhackige Lederstiefel. Gespräche, die um Literatur kreisten. Ästhetisch ernsthafte Fachsimpeleien. Herr Nipp sah sich als Randfigur einer hochgezüchteten Gesellschaft, die er nicht verstand, verstehen wollte oder in seinem einfachen Denken wollte. Irgendwann löste sich diese Gruppe auf, die letzten Stummel wurden im Ascher entsorgt. Die städtischen Mountainbikes wurden gesattelt und die Gruppe machte sich auf. Sie wollten neue Bauprojekte dieser Stadt besichtigen, vor allem den Bahnhof, der die Stadt an den Rand des Wahnsinns gebracht hatte. Die Weißenhofsiedlung war abgehakt. Aufbruch im Großstadtrudel. Hyänen.

Eben noch gecheckt, ob und welche Nachrichten sich angesammelt hatten, was dringend beantwortet werden müsste. Wer keine Nachrichten hat, ist out. Ein ganzes Architektenbüro auf Fortbildungstour.

Als Ruhe eingekehrt war, suchte auch er seine sieben Sachen zusammen. Er würde im Nieselregen die Stadt erkunden, ohne zu wissen, was auf ihn zukommt, würde ganz touristisch seine Kamera zücken und die Reliefs an den Fassaden knipsen, jenseits der Bauhausästhetik, Tiere, Pflanzen und abstrakte Ornamente. Niemand würde ihm kunsthistorische Erläuterungen geben. Einfach der einfachere Genuss.

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