Vorzeichen

Manche Wanderungen starten zunächst unter eher schlechten Vorzeichen. Manche Vorzeichen allerdings werden von den Menschen auch aus Unkenntnis als schlecht bewertet, ohne eingehend geprüft oder gar nachgedacht zu haben. So gilt es vielen Menschen tatsächlich als ungünstig, wenn es nachts geregnet hat. Anstatt die Vorteile zu sehen. So ist die Luft morgens danach dann meist frisch und klar und der Blick kann weit schweifen. Die Luft ist kühl und so wird man zumindest die ersten Stunden nicht gar so arg schwitzen müssen.

Nachdem es die ganze Nacht gewittert hatte, kam morgens doch die Sonne hinter den umliegenden Bergen hervor und mit den ersten Strahlen fingen die klammen Zelte an zu dampfen. Das ist ein wirklich schönes Schauspiel, als würde der gesamte Platz anfangen zu atmen oder irgendjemand hätte vielleicht vergessen die Feuer zu löschen und bald schlügen aus jedem kleinen Planenhaus die Flammen. Einige feuchte Tücher wurden über die Wäscheleine zum Trocknen gehängt, andere im Auto über der Speisenkiste ausgebreitet. Immer in der vagen Hoffnung, dies möge einen kühlenden Effekt haben. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass die Verdunstung von Wasser oder Alkohol auf die Umgebung einen stark kühlenden Effekt hat, weil die Wärme quasi mit jedem aufsteigenden Molekül mitgerissen wird (Liebe Physiker unter den Lesern, ihr kennt wahrscheinlich den wahren Grund für den Kühlungseffekt. Wenn irgendwann irgendjemand sich einmal erbarmen könnte und mir eindeutig und in verständlicher Sprache dieses Phänomen erklärt, wäre dies wirklich schön. Ich hörte jedenfalls, es hat etwas mit Entropie zu tun.). Die erste Strecke des Weges war, Herr Nipp zählte vierzehn, geprägt von diversen Unterbrechungen. War es zuerst ein Steinchen, das sich in den rechten Schuh des einen Mitwanderers verirrt hatte, saß danach noch die Sohle falsch, außerdem hingen die Schnürbänder nicht richtig, so dass Stolpergefahr entstand. Ja, er stolperte sogar tatsächlich, als er einmal in aller Ruhe ausprobierte, wie das denn wohl am besten ginge. Gerade kurz vor Aufschlag auf dem Wegesplit konnte er sich noch rechtzeitig abfangen. Nein, zu diesem Zeitpunkt wollte auch dieser Mitstreiter noch keine Schrammen, Schürfwunden oder sonstige Verletzungen riskieren. Solche Nichtmitmehrmitgehstrategien muss man sich für den Fall aufsparen, wenn es wirklich zu viel wird. Weitere Verzögerungen im Marsch über die Berge waren eine offensichtlich verdrehte Zunge im Schuh (was allerdings wegen der dreiseitigen Befestigung am Schuh eigentlich schon wieder fast unmöglich war), ein unbestimmbares Zwicken in der Kniekehle, ein vermutetes Insekt, welches sich in die Kleidung verirrt haben mochte und an eine hier nicht näher zu beschreibende Stelle gekrochen sein konnte. Es kamen hinzu weitere in den Schuh verirrte Steine und Dinge, deren Möglichkeit im Bereich der Unmöglichkeitstheorien eines Anhalters der Galaxis diskutiert werden könnte. Jedes Mal wurden bei einem so entstehenden Stopp die Schuhe geöffnet, eingehend untersucht und mit leidendem Gesicht sowie dazu passendem Schmollmund wieder langsam, geradezu aufreizend lahm wieder angezogen. Hatte Herr Nipp die demonstrativ völlig lustlose Haltung dem Wandern gegenüber schon an der leicht in sich gesunkenen Körperhaltung festmachen können, so sprachen die genannten und wahlweise auswechselbaren Stoppgründe nun ihre allzu deutliche Sprache: Ich will nicht, kann ich nicht am Zelt bleiben und schlafen, nichts tun oder vielleicht ein paar Stunden im Bad verbringen?

Man hätte es nach diesem Start schon fast gar nicht mehr erwarten können, aber die nach zwei Stunden Wanderung darauffolgende Fahrt mit der Seilbahn und Blick durch das Panoramafenster wurde sogar mit fast lobenden Worten als angenehm deklariert. Vor allem aber die lange Mittagspause auf der Alm, obere Wiese, die ausgedehnte Jause mit Vinschgauer Brötchen und Kaminwurzen und heimischem Käse fand allgemeine Zustimmung. Die drei legten sich dazu im Schatten einer Lärche ab, aßen die Äpfel und anderen Leckereien, eine Tüte Studentenfutters wurde auch geleert. Während der eine sich eine Zeit lang mit den Pflanzen und Blumen der Umgebung beschäftigte, kramten die beiden anderen ihre Romane aus den Taschen und legten sich zum Lesen in die Wiese. Als Unterlage dienten die Jacken, die bei jedem Wetter mitgeführt werden sollten. Lieber an dieser Stelle zu viel tragen und die Kleidungsstücke ungenutzt lassen, als später wegen eines Wettersturzes vor Kälte umkommen. Irgendwann hatte Herr Nipp genug neue Pflänzchen entdeckt und abgelichtet, die er abends dann noch bestimmen wollte. Er legte sich kurz hin, schloss kurz die Augen und war angesichts der Ruhe und der Herbheit des Almwiesenduftes augenblicklich eingeschlafen, fühlte er sich doch von der zurückliegenden Gewitternacht etwas übernächtigt.

Der weitere Weg dieses Tages verlief später noch ganz nett, bei wirklich guter Wanderstimmung und ohne weitere Unterbrechung wegen Scheinproblemen. Bis die drei sich aus Unachtsamkeit für die falsche Wegabzweigung entschieden. Das sollte letztlich drei Stunden Umweg kosten. Und wieder einmal musste Herr Nipp daran denken, das nächste Mal auf die schlechten Vorzeichen doch einmal zu achten.

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