Ein Neuer

Typischer als dieser Beamte, vermutlich einer Verwaltungsbehörde, vielleicht sogar eines Finanzamtes, kann wirklich niemand sein. Er reist guter Dinge in seinem strahlend weißen Kleinwagen an. Klinisch strahlend weißer VW up. Das hat ja fast schon den vagen Hauch des Trendigen in sich. Als er aussteigt aber, ist alles klar. Die Bundfaltenjeans (Ein Wort, dass es gar nicht geben dürfte.), die über den schwammigen Unterkörper gespannt ist/sind und diesen besonderen Tick zu klein wirkt, ist/sind wohl Ausdruck des wahren Urlaubsgefühls. Denn nur ein echter Untertan des Staatsapparates kann dieses Gefühl der erlaubten Freiheit auf Zeit so recht genießen. Wie dem auch sei, diese Hose ist etwas zu hoch gezogen, bis zum Bauchnabel. Herr Nipp schießt die Erinnerung an einen korrekt beschnauzbarten Hausmeister durch den Kopf, aus einer amerikanischen Serie, die irgendwann durchaus Kultstatus besaß, der hatte seine Last mit einem ferrarifahrenden, anders und noch viel schlimmer beschnauzbarten Detektiv und dessen Freunden. Nur das dessen Hosen immer khakifarben waren. Er kommt jetzt gerade nicht auf den Namen der Serie und auf den des armen und doch sehr beamtig schrulligen Facilitymanagers  schon gar nicht.


Dieser Mann hier aber gibt ein seltsames Bild ab, vielleicht am ehesten mit einer blauen dicklichen Karotte vergleichbar. Dazu ein vanillegelbes Hemd. Die Haare recht ordentlich frisiert, sieht man mal von den Rattenschwänzchen ab, die so gerade den Kragen berühren. Man könnte dies fast schon als Zeichen einer Protesthaltung interpretieren, wenn es nicht Unachtsamkeit gegen das eigene Äußere wäre. Die Schweißtropfen geben so jedenfalls ein recht regelmäßiges Muster auf dem schmalen Hemdrand. Die Brille, früher hätte man wohl gesagt Kassengestell, was allerdings bei Beamten ja wohl kaum geht, ist vielleicht ein wenig altmodisch, vielleicht 15 Jahre über die Zeit, gerade so lange, wie es nicht modern ist, alte Dinge aus dem Schrank zu kramen, sondern extrem uncool. Aber das machte eigentlich gar nichts, wenn sie nicht in diesem teigigen Gesicht säße, das auch noch von einem putzigen Oberlippenbärtchen geziert ist. Die erste Amtshandlung nach dem ordentlich ordnungsgemäßen Einparken des Kleinwagens ist das Aufklappen eines Tisches. Und eines Stuhls. Zu Hause wohnt dieser Held des Alltags höchstwahrscheinlich noch immer in seinem Jugendzimmer bei seiner Mutter, die seit zwanzig Jahren schon verstrohwitwet ist. Gewissensbissleben. In der Hemdtasche hat er übrigens einen Kugelschreiber stecken, der korrekt festgeklammert ist. Dann setzt er sich ganz zufrieden danieder und studiert aufmerksam die Bauanleitung zu seinem Zelt. Ein Wurfzelt, das tatsächlich innerhalb weniger Minuten steht. (ach ja, ganz vergessen: Die Schuhe sind aus geflochtenem Leder mit Gummisohle, sehr adrett.) Der nächste Akt seines Bemühens artet in wahre Arbeit aus. Er will ein Dach aus vier Stützen und einer Plane bauen. Zieht er auf einer Seite, fällt an anderer Stelle eine Stütze um. Verzweiflung macht sich ganz offen sichtbar in seinem Gesicht als Fratze breit, so hatte er sich das nicht vorgestellt. Immerhin ist die Gesamtprozedur nach einer Stunde beendet, auch wenn die Nachbarn heimlich oder ganz offen noch gerne länger zugeschaut hätten. Aber das Abendessen ist wichtiger.
Herr Nipp hört die gerade angekommenen Italiener schon lautstark die erste Flasche Wein öffnen, erstes zufriedenes Lachen. Die allgemeine Abendstimmung, sie steigt. Da wird ein inzwischen völlig verschwitzt allein dastehender Beamter auch schon mal übersehen. Das Planendach ist derweil wieder umgefallen. Auf seinen nebenan stehenden weißen Wagen und eine Stange hat dort einen sichtbaren Kratzer hinterlassen. Am nächsten Tag wird er wieder abreisen, gen Italiens Küste.

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