Zwischendurch zieht Herr Nipp immer wieder mal mit seinem Rad verbotenerweise seine Runden auf dem alten Friedhof, der fast wöchentlich einige Gräber verliert. Inzwischen ist es ein violett blühender Park geworden. Riesige Rhododendren sind stehen geblieben und einige alte Bäume, wie Kastanien, Ahorne und Robinien, auch ein Tulpenbaum und einige Trauerbuchen. Um einen alten Brunnen stehen Blutbuchen und bilden einen mystischen Ort. Fast verwunschen, wie aus alten Sagen. Aber es ist sehr still dort geworden. Die trauernden Angehörigen sind wohl inzwischen selber den Weg alles Irdischen gegangen und auf dem fernab liegenden Friedhof, irgendwo im Wald vergraben. Immerhin gibt es vereinzelte Ruhestätten, die auch heute noch liebevoll gepflegt werden. Auf einem der unteren Wege liegt mitten auf dem Weg ein Sack mit Blumenerde, fast wäre er mittig darüber gefahren. Aus einiger Entfernung kommt eine ältere, nein bei näherkommen wirklich sehr alte Frau auf ihn zu, bittet ihn, doch den Beutel eben zum Grab zu bringen. Sie will ihm sogar „zwei Mark“ geben. Natürlich ist Herr Nipp gerne bereit, die Bodenauffrischung im Plastiksack die paar Meter zu tragen, sieht er doch, dass die Dame echte Probleme mit dem Gehen hat. Er lehnt die dargereichte Belohnung natürlich ab und will schon wieder losfahren, da beginnt die Dame zu erzählen. Sie hat in ihm offensichtlich ein optimales Opfer gefunden, jemand der nicht auf eine Belohnung aus ist, der wird auch höflich zuhören. So erfährt er ganz ungewollt einiges über ihre berufliche Vergangenheit, die allerdings schon vor fast drei Jahrzehnten beendet wurde. Darüber, dass sie Fremdsprachenkorrespondentin war und für die Botschaft und katholische Kirche gearbeitet hat. Bestimmte Strukturen scheinen sich zu ähneln. Durchaus interessantes Leben. Am schönsten ist allerdings eine recht aktuelle Geschichte, die dieser Dame vor einigen Wochen passiert ist. Da ihr alter privilegierter Kühlschrank einer ehemals großen Handelskette inreparabel defekt war, hatte sie sich via Internet einen neuen bestellt. Herr Nipp kann sich immer wieder nur wundern, wie viele und welche Menschen heute ganz selbstverständlich das Netz nutzen. Markenfabrikat der etwas nobleren Sorte, sie scheint es sich leisten zu können. Am Liefertag erschienen die Lieferanten, deren Beschreibung kontrastiver nicht hätte ausfallen können. Der eine groß, dünn und jung, der andere klein, alt und dick. Beide wohl nicht allzu intelligent, wie sie mutmaßt. Da sie im zweiten Stockwerk wohnt, müssen einige Treppenstufen überwunden werden. Auf jeder von diesen setzen die beiden den unten schon ausgepackten Kühlschrank ab. Die alte Dame hat Angst davor, dass er völlig vermackt oben ankommt, also ruft sie herunter, dass die beiden Herren doch oben angekommen aufpassen sollten, da ein Wanderfalke frei in ihrer Wohnung fliegen würde. Die Neugier der Herren tat wohl ihre Wirkung. Sie fliegen die Treppen herauf. Kaum ausgesprochen, sind die beiden auch schon oben angekommen und wollen den Falken sehen. Die Dame aber hat jedoch nur einen Wellensittich. Empört fragen die beiden Männer, was denn das nun sollte. Darauf sie: „Wenn sie so weiter gemacht hätten, dann wäre ich bestimmt vor ihrer Ankunft verstorben.“ Die verbittert sauren Herrschaften hätten in ihrer bösen Empörung, von einer alten Frau so geneppt worden zu sein, sofort und in Eile ihren Rückweg angetreten und sie habe gar keine Chance gehabt, ihnen ein Trinkgeld zu geben. Immerhin grüße der kleine Dicke sie jedes Mal, wenn er an ihr vorbeifährt.
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