Der Stau VIII / 3

Und hinterher haben alle so getan, als seien sie alle im Untergrund gewesen, als hätten sie alle aktiven oder auch nur passiven Widerstand geleistet. Und sobald du die Sprüche hörst, wenn sie betrunken sind, dann weißt, dass sich gar nichts geändert hat zwischen den Menschen. Die Einen glauben immer, sie seien grundlegend etwas Besseres. Die anderen müssen darunter leiden. Man kann alles Schlechte über andere denken, das geht eigentlich schon in Ordnung, solange man es nur für sich behält, solange man es nicht in irgendwelche Taten oder Aktionen umsetzt. Hass ist eine wichtige Triebfeder des Menschsein, aber eben die Wichtigste. Genauso ist Liebe nicht zu unterschätzen. Solange dein großer Mann mit übergroßer Klappe und  ebensolchem Charisma auftauchen könnte, warten diese falschen Geister noch in ihren Flaschen und werden dann endlich wieder wüten können und vielleicht die nächste Runde einer eklen Unmenschlichkeit einläuten. Dann wird sich wohl der nächste Sturm erheben und alles mit sich reißen. Und man kann nur hoffen, dass es auch dann wieder einige Standhafte gibt, die echten Widerstand leisten und sei es um ihr eigenes Leben. Ja, da werden wieder viele mit ihren dienstfertigen Bücklingen hinterher rennen. Dann wird es wieder heißen, das Besondere am Deutschen sei, dass er Stramm stehen könne, ohne ein Rückgrat zu besitzen.

Die Mutti sieht dabei echt gestresst aus, ist früher vielleicht mal ein hübsches Ding gewesen, hat sich selber aufgegeben. Ist aus der Form geraten und hat niemals wieder dorthin gefunden. Nicht gerade eine Versuchung. Der Mann braucht wirklich keine Angst zu haben, sie wird ihm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht weglaufen. Schon weil sie wissen muss, dass sie keinen Anderen mehr abkriegt. Sie hat die Schlacht des Lebens verloren. Aber er hat sich auch etwas gehen lassen, kann mir gut vorstellen, wie der Bierbauch vor dem Lenker auf den Oberschenkeln liegt. Verstehe echt nicht, warum sich solche Familienheinis jenseits der 35 immer so gehen lassen müssen. Man muss doch nicht alles essen und trinken, was einem angeboten wird. Man muss doch auch nicht noch an jeder zweiten Pommesbude Halt machen, nur weil einem irgendwas fehlt. Da wird wohl mit dem Pappbecher oder der Plastikschale das kompensiert, was das Leben einem vorenthalten hat.

Oder fehlt wohl das Bewusstsein dafür, dass man es selber in die Hand nehmen muss. Dass man selber aktiv werden muss. Dass die anderen einem nichts schenken, sondern man Verantwortung für sich hat. Jaja, weiß schon, dann kommt wieder die alte Leier los, man habe doch schließlich gar keine Chance gehabt, schon allein wegen der Eltern. Weiß nicht, kann daran immer noch nicht so ganz glauben, einfach zu viele habe ich schon kennen gelernt, die es geschafft haben, die den mut hatten, den elterlichen Horizont zu sprengen oder zumindest sich selber zu erweitern, weil vielleicht irgendwer in ihnen ein Interesse geweckt hat. Klar ist es einfacher, wenn man Eltern hat, die unter allen Umständen fördern, weil sie wissen, dass nur gute Ausbildung und umfassende Bildung den Stallgeruch gibt, um auch Karriere zu machen. Aber was heißt das schon, Karriere? Wie heißt es in dem Lied dieses Songschreibers, der heute einen völlig neuen Namen hat? „And if you want so say yes, say yes, and if you want to say no say no.“ Mist, ich vergesse immer, wie die Leute heißen und Lieder? Den Text kann ich mir sowieso nicht merken. Es geht um die eigene Entscheidung in diesem Lied, dass man die Entscheidungen selber treffen muss.

Habe einmal gehört, dass jemand sagte, er habe ein Instrument nicht weiter gelernt, weil der Lehrer ihn nicht unterstützt habe. Mag wirklich daran liegen, wenn man schlechte Lehrer hat, die unfähig sind, oder zumindest solche, die einen nicht unterstützen, dann verliert man vielleicht die Lust am Lernen. Komisch, ich habe immer aus einer Haltung des Trotzes gelernt. Immer wenn alle Biologie nicht mochten, weil der Lehrer übel war, immer wenn Mathe unmöglich schien, weil der da vorne nicht erklären konnte, immer, wenn das Lesen und Schreiben keinen Spaß machte, weil dieser Lehrkörper eben nur das war, eine leere Hülle. Weiß auch, nicht gerade ein intelligentes Wortspiel.

Musste als Kind sogar in die sogenannten Legastenikerkurse, das war einerseits wirklich schön, weil man dort ohne Druck einfach schreiben konnte, andererseits habe die anderen Kinder davon Wind bekommen und Kinder können grausam sein.

Kinder hätte ich auch gerne, aber wer will schon mit mir zusammen sein, immer nörgelnd durch das Leben gehen und immer denken, schreiben und mich über andere lustig machen. Das hält ja keine auf Dauer aus. Dabei war ich wirklich verliebt und hätte einiges dafür aufgegeben, aber sobald das passiert, passiert etwas anderes. Dann geht irgendwas mit mir durch. Dann verbocke ich mir alles selber. Und ziehe mich auf diese Insel mit zwei Bergen zurück. Ja, Kinderbücher kann ich wohl schrieben, auch wenn nicht so schön und gut wie Michael Ende, den ich immer noch gerne lese. Diese Vielschichtigkeit seiner Erzählungen hat mich damals immer gefesselt, neue Welten zu entwerfen, die einen einfach entführen. Wenn ich daran denke, wie die von der Augsburger Puppenkiste das damals umgesetzt haben. Würde heute kein Kind mehr aushalten, so langsam und trotzdem haben wir vor den Fernseher gesessen und waren gebannt und am nächsten Tag wurde jede Kleinigkeit in der Schule besprochen oder vorher im Kindergarten. Nein, das könnte man heute nicht mehr zeigen, wahrscheinlich würde man jetzt einen möglichst plakativen Zeichentrick daraus machen. Irgendein halbwegs bekannter Sänger würde ein Popliedchen dazu machen und dann lief das Ganze über ein halbes Jahr, weil jedes Wort zu einem Abenteurer ausgeschlachtet würde. Warum auch an der literarischen Vorlage entlang arbeiten, wenn es auch ganz frei geht. Reicht doch auch wirklich, wenn man einige Namen übernimmt und den bekannten Titel des Buches. Die Serien der späten siebziger und frühen achtziger Jahre haben es doch vorgemacht, Ein Erfolgsschema, dem man folgen kann: Heidi, Biene Maja, Nils Holgerson und wie sie alle heißen, ach ja, Pinocchio auch.

Das würde ich mir übrigens für viele Politiker wünschen, dass sie lange Nasen bekommen, jedes Mal, wenn sie lügen, jedes Mal, wenn sie uns Halbwahrheiten vorsetzen. Sie leben in einem anderen Leben, haben doch nicht mehr viel mit unserem Leben zu tun oder doch. Sitzen in ihren Helikoptern und fliegen von einem Termin zum nächsten. Dorthin, wo alles vorbereitet ist, dorthin, wo alles glattgebügelt wurde und die glauben, das sei die Realität.

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