Worte

„In solchen Situationen geht es nicht um Stringenz oder gar eine irgendwie entschlüsselbare Kontinuität, sondern um den Genuss am Umgang mit dem Anderen, mit den Anderen“, dachte Herr Nipp. Er reflektierte vor dem flackernden Kamin sitzend über die Kunst des reden Könnens, über gute und vor allem einfache Gespräche. Über den Austausch der Wörter und die Veränderung der Bedeutung. Über was nicht alles gesprochen wurde.

In einer modernen Gesellschaft kann alles zum Thema werden, ohne dass man Angst haben muss, dass irgendjemand aufschreit. Jeder hat das Recht, sich von einer Gesellschaft zu entfernen, wenn einem nicht passt, was die anderen sagen, jeder kann auch dagegen sprechen. Aber keiner hat das Recht andere für ihre Gedanken zu verurteilen. Wenn Rapper das Wort Respekt in den Mund nehmen, als Jugendliche, dann sieht jeder, dass dieser Gedanke ob bewusst oder nicht in der Gesellschaft angekommen ist. Gedanken und Handlungen dürfen ihre Wege gehen, solange nicht andere schwerwiegend beeinträchtigt werden. Sollte ein Sprecher jedoch über das Ziel hinausschießen, so hat er gefälligst den Mut aufzubringen, um Entschuldigung zu bitten. Wenn ehrlich gemeint, dann sollte dies auch angenommen werden.

Gedanken wie diese werden gewälzt und weiter gesponnen. Manchmal aber auch kommt der  heimliche Genießer zu den eigentlichen Wurzeln seiner sich stets verzweigenden Gedanken zurück. Die Möglichkeiten, die sich mit jedem neuen Wort ergeben, manchmal schon allein mit der grammatischen Form, sind immens, wahrscheinlich sogar unendlich. Und sei es, dass er wie jetzt abschweift zur Entwicklung der Sprache. Er sinniert über das stete Genörgel nach, diese würde sich zu schnell verändern. Jeder, der etwas eigenständig denken kann, wird allerdings auch begreifen, dass die Sprache sich wahnsinnig schnell verändern muss, nur allein, um sich den Entwicklungen der Gesellschaft und Technik anzupassen. Da gibt es Menschen, die sich über Anglizismen aufregen. Sie wollen zurück zu einer rein deutschen Sprache. Aber was ist denn das. Gerade dieses Deutsch hat doch  immer davon gelebt, dass sie Fragmente, Vokabeln und Floskeln aus anderen Sprachen adaptiert hat. Die germanischen Wurzeln sind doch relativ gering. Da wurde das Latein adaptiert, dann das Französische, auch Hebräisch finden wir und Aztekisch, Ungarisch, Italienisch. Die Niederländer haben ihre Fußabdrücke hinterlassen, die Dänen auch. Aus dem Indischen, dem Griechischen und wahrscheinlich auch den slawischen Sprachen sind uns die Wörter geschenkt oder geliehen worden. Aber sie klingen uns inzwischen so deutsch, das wir es kaum noch merken, denkt Herr Nipp. Wer denkt beim Kellner an cellera, wer bei der Schokolade an cocoatl? Manchmal ist es ganz schön, sich ein etymologisches Hand zur nehmen und man wird feststellen, dass unser heutiges Gesprochenes und Geschriebenes ein enges Geflecht ist. Der Kitt dieses Mauerwerks (murus) ist die Grammatik und auch die verändert sich langsam. Und so kann letztlich auch jedes Wort aus jeder Sprache  eingedeutscht werden. Wenn nun das Englisch zur Weltsprache geworden ist, dann wird es eben auch seine Spuren hinterlassen. Und keine Sorge, dadurch wird nichts zerstört, lediglich verändert.

Irgendwann schlummert Herr Nipp ganz zufrieden ein, im Wissen, auch morgen noch verstanden zu werden. Aber auch im Wissen, auf der Höhe der Zeit bleiben zu müssen.

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