Auf und unter Dach (Teil 2)

Als durchaus frugal konnte dieses unerwartete Frühstück beschrieben werden. Herrlich diese frischen Brötchen und der einzeln aufgebrühte Kaffee. Die modernen Maschinen haben es für sich, das italienische Espressoungetüm nachzuahmen. Zwar sind sie nicht mehr so riesig und machen längst nicht diesen infernalischen Lärm, der zu den typischen Eckcafès offensichtlich immer schon dazu gehört hat, trotzdem versprühen sie wegen des durch die Aerosole in die Luft verteilten Duftes eine ähnlich Aura des kurzen Zeitluxus´.

Manchmal kann man sich nur darüber freuen, wenn die Tassen nicht aus einer Kanne gefüllt werden, die dann vielleicht schon eine Stunde dort herumsteht, ständig erhitzt wird und mit der Zeit diesen typischen Geruch und Geschmack erhielt, den Herr Nipp schon immer gehasst hatte. Schon seine Mutter hatte für das zweite Frühstück um zehn immer frisches Brühgetränk zubereitet. (Vor nicht allzu langer Zeit kam ihm jedes Mal, wenn er seinen Lieblingsarbeitsplatz aufsuchte noch dieser Hauch des Abgestandenen entgegen, gepaart mit dem fragwürdigen Gestank billigen Tabaks. Dort war es stets unbelüftet, so dass sich mit der Zeit ein Raumgeruch entwickelte, der fast unerträglich war. Selbst Wohnungen, in denen ohne Abzugshaube Zwiebeln und Knoblauch gedünstet wurden, erschienen gegen diesen Zustand wie das Paradies. Das braucht kein Mensch. Aber immerhin hier war die Situation inzwischen geklärt. Nur noch selten kam ihm diese seltsame Mixtur aus schrecklich abgestandener Luft entgegen. Der damalige Verursacher hatte glücklicherweise das Weite gesucht, ihm war das Weite gesucht worden, mit all seinen Marotten und den Hang zur intelligenten, aber völlig blödsinnigen Lüge. Es gibt tatsächlich Menschen, die sich eine eigene Welt zusammen bauen. Sie erfinden Freunde und Bekannte, deren Namen wohl vorhanden sind oder aber schlüssig erscheint. Zusammengesetzt aus geläufigen Fragmenten. Auch ihre Vergangenheit ist ein schillerndes Sammelsurium aus denkbaren und möglichen Ereignissen. Zusammengesucht aus den diversen Internetseiten, die mehr Geheimnisse über Menschen preisgeben, als man denkt. Doch irgendwann war auch der recht langsam denkende und wahrscheinlich viel zu gutmütige Herr Nipp auf den Trichter gekommen, dass da irgendwas nicht gestimmt hatte. Die Mails, die er bekommen hatte, die Kommentare auf seiner Seite und vieles mehr, was mit vielen Namen unterschrieben war, stammten nicht von vielen, sondern von einem.  Zufälligerweise reproduzierte sich hier ständig derselbe sprachliche Stil. Was er für drei Jahre als Realität ausgemacht hatte, stellte sich als gut gemachte Fälschung der Welt heraus. Herr Nipp war einem Wahnsinnigen auf den Leim gegangen, der sich besser einer umfassenden Therapie unterzogen hätte. Jedes Mal, wenn er nun diesen Geruch auch nur entfernt vernahm, wurde ihm nun schlecht. Sobald er den Arbeitsplatz aufsuchte, wurde gelüftet, um vielleicht noch vorhandene Restatome oder Moleküle jener gewesenen Anwesenheit zu tilgen.  Damals waren nicht nur die Wahrheit und das Vertrauen abhanden gekommen, sondern auch diverse Gegenstände, was allerdings nichts mit einander zu tun haben musste. Auffällig war es trotzdem. Als erstes hatten sie nach dem Abgang die Tastatur desinfiziert, trotzdem waren Viren auf den von ihm bearbeiteten Internetseiten zurück geblieben. Festgestellt hatte man weiterhin, dass Mails umgeleitet wurden, nur damit dieser Herr ein Gefühl der Macht haben konnte. Irgendwann würde wohl irgendwer anders reagieren und es nicht bei einem Rauswurf belassen. Armer Irrer!)

Die beiden alten Bekannten hatten über eine Stunde sämtliche Nichtigkeiten ausgetauscht. Was war in den letzten Monaten nicht alles passiert, vom Bilderfund auf dem Trödelmarkt bis zur Nachtwanderung mit tollen Menschen, die er nie vergessen würde.* Unser Protagonist war seelisch wie körperlich gesättigt und die Verabschiedung geriet sehr herzlich. Er nahm den Bekannten sogar in die Arme, dabei fragte er sich, ob dies geschah, weil er ob der Sättigung wegen glücklich war oder weil er nun endlich wieder allein sein würde. Als er auf die inzwischen sehr belebte Straße trat, hatte sich der Himmel massiv zugezogen und zeigte mit ersten dick platschenden Tropfen an, dass die Regendrohung nicht leer bleiben würde. Und tatsächlich benötigte der nachfolgende Regenguss nur etwa zwanzig Sekunden, um ihn völlig zu durchnässen. Sofort suchte er in heller Aufruhr ein derzeit angesagtes Billigbekleidungsgeschäft auf, nahm sich einige Kleidungsstücke und zog sich unter den kritischen Blicken einer gutlackierten Verkäuferin in die Umkleide zurück. Nein, so konnte es nicht gehen. Immerhin war er schon ein wenig trockener und die neuen Sachen klamm, aber das kümmerte ihn nicht besonders. Er zog seine Klamotten wieder an, legte die neuen fast  fein geordnet zu den anderen zurück. Zielsicher bewegte er sich zügig zum Ausgang, aus den Augenwinkeln sah er gerade noch, dass eben jene Angestellte, die morgens wahrscheinlich in ein Puderfass gefallen war, dorthin hechtete und hörte einen angewiderten Ausruf des ungläubigen Missfallens. Schnell verdünnisierte sich Herr Nipp und hielt Ausschau nach dem nächsten Geschäft. Das war eine neue Erfahrung. Normalerweise besuchte er Bekleidungsgeschäfte, wenn er Kleidung benötigte, dann kramte er zügig zwei Hosen heraus, drei T-Shirts und vielleicht ein oder zwei Pullover, alles möglichst grau oder gestreift, niemals auffällige Farben. Die Sachen passten meistens und wurden komplett erstanden. Ruhe für ein halbes Jahr. Jetzt allerdings erkannte er die Vorteile des Shoppens. Man probiert ohne Kaufabsicht alles Mögliche an und wird ganz nebenbei dabei trocken.

*Diese Geschichte wird frei nach Michael Ende vielleicht später einmal erzählt werden. Nur so viel: Herr Nipp war den beiden ernsthaft dankbar, dass sie ihn fast als Ihresgleichen mit zum Lattenberg genommen hatten, von der pilzdurchsuchten Dämmerung in die Tiefe der nächtlichen Dunkelheit. In der Hoffnung noch etwas von der legendären Brunft der Rothirsche miterleben zu dürfen, hatten die drei lehmverklebte Wege beschritten. Leider kein Wild gesehen, aber viele spannende Geräusche vernommen und sehr angenehme Gespräche geführt. So etwas kann man nicht kaufen.

 

 

 

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