Lichtlein

„Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.“ So oder ähnlich hatte seine Oma es damals mehrfach von sich gegeben, vielleicht war es auch jemand anders, egal. Wir wissen ja, dass Geschichte und Erinnerung Konstrukte sind, die täglich neu gebaut werden. Alles Baubare kann auch niedergerissen werden. Selbst in der Vergangenheit kann sich viel verändern, nachträglich wohlgemerkt. Herr Nipp kennt dies zu genüge aus Erzählungen. Besonders eingeschworene Gemeinschaften wie Jäger, Motorradclubs, Künstler, Pomologen und Literaten sind anfällig für regelmäßige Euphemismen und hyperbolisches Erzählen. Anders gesagt kann jeder Pups zum hervorragenden Parfum hochstilisiert werden, man muss ihm nur Zeit geben. Da werden Wahrheiten produziert um ihrer Produktion willen und um den Erzähler in möglichst gutem Licht dastehen zu lassen. Der Spruch ansich über das Lichtlein allerdings hat tiefe Wurzeln in Herrn Nipp geschlagen und heute weiß er, dass tunlichst nichts vor dem Ende der Frist aufgegeben werden darf.
Dieser Tage hat er alle Zusagen für Material für ein Projekt mit jungen Menschen zusammenstreichen müssen. Plötzlich stand er sozusagen nackt da. Die Ausreden waren mannigfaltig von „Ach, da habe ich jetzt gar nicht mehr dran gedacht. Unser Nachbar hat Kaminholz aus dem Balken gemacht.“ über „Ne, den Container mit Altholz haben wir jetzt entsorgt.“ bis „Mein Mann möchte das Holz doch nicht abgeben.“ Und dann kommen an einem Tag plötzlich zwei gute Nachrichten herein und er hat alles Gebrauchte sozusagen auf dem Präsentierteller. Sein Glücksgefühl kann sich kaum jemand ausmalen. „Immer wenn du meinst, es geht nix mehr, kommt irgendwo ein Balken her.“

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