o.T.

Herr Nipp hat etwas für ihn selbst völlig Verrücktes getan, er war zu einer Vernissage in einer kleinen Galerie. Ins Museum geht er beizieten ja wirklich gerne, aber Galeriebesuche sind schon eine völlig neue Erfahrung für ihn. Dass er irgendwann in den achtziger Jahren ebensolches mehrfach getan hat, ist ihm wohl völlig entfallen, vielleicht war es über der Jahre auch ein Verdrängungsprozess. Eine Vernissage allerdings ist noch einmal eine Stufe höher, denkt er. Die Atmosphäre ist prickelnd bis gespannt, wieviele Leute werden wohl kommen und vielleicht noch wichtiger, wer? Wird er Gelegenheit mit dem Künstler einige worte zu wechseln oder handelt es sich um ein arrogantes A. ? Man kann ja nie wissen, mit welchem Klientel man es wohl zu tun haben könnte. Aber womit er nicht gerechnet hat, ist die Freundlichkeit und offenbare Verbindlichkeit. Sowohl die Gäste, Galeristin also auch die Künstlerin ist von ausgesuchter Höflichkeit. Sogar der kostenfrei angebotene Rotwein ist durchaus trinkbar. Die Bilder gefallen ihm gutAlles passt soweit, traurig allein, dass so viele Bilder einfach keinen Titel haben.

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drei

In einer Galerie stehen und sitzen drei Männer in einer Ecke herum. So könnte ein Witz anfangen, hier allerdings nicht. Ja, sie haben offensichtlich Freude an ihrem Tun, aber ein Scherz sind sie wirklich nicht. Der eine sitzt an einem improvisierten Schlagwerk. Man kennt diese einzelne Trommel noch aus den achtziger Jahren von der Band Trio. Alles sparsam. Hier aber wird kein simpöer Rhythmus gehämmert, sondern feinfühlig holt er eine riesige Bandbreite von Tönen aus dem Trömmelchen. Ganz nebenbei hat er eine ziemlich verbeulte Posaune in der Hand, mal spielt er hieran, mal dort dran und meistens zusammen. Wie, ist sein Geheimnis. Herr Nipp hat allerdinngs noch nie eine Person gesehen, die ein solches Gefühl für alle Arten von Musik hat. Man muss ihm nur irgendetwas in die Hanbd zu geben und schon entsteht Musik ,schon werden eine Streichholzschachtel und ein Schlüssel Musikinstrumente. Glücklich und sich ruhend, alles andere scheint egal. Jetzt ist Musik und das zählt. Der andere hält eine alte Ibanez in den Händen, ein unglaublich schönes Instrument mit Gebrauchsspuren. Hier und da fehlen wohl auch Einzelteile der halbakustischen E-Gitarre, aber das scheint ihm nichts auszumachen, das Instrument hat einen tollen Klang, trotzdem oder gerade deshalb. „Ach, das waren doch alles Angeberdrehknöpfe, Hauptsache sie spielt.“ Zwischendurch drückt er auf Tasten eines Bandgerätes, das zwei Spuren aufnehmen kann. Er hat einen Loop gebastelt, drei Meter, die eine Seite ist um einen Mikrofonständer gelegt, die andere Seite wird vom Tonbandgerät eingesaugt. Ziel ist es, dass das einmal Gespielte noch einmal wieder gegeben wird. Was auf dem Band ist, verändert sich andauernd, wird überlagert. Immerhin können die drei so insgesamt neunstimmig Musik machen. sie spielen gemeindsam mit ihrer eigenen Vergangenheit. Der dritte Mann ist ein bekennender Dilettant, er hat kein Instrument in seiner Nähe, nur das Mikrofon und ein Buch, welches er selbst geschrieben hat, immerhin das. Er kennt offensichtlich nichts auswendig, liest, spricht nur, grunzt, kiekt und schnarrt mit der Stimme. Manchmal kommt auch etwas, das an musikalische Töne erinnert. Textspuren überlagern sich, mal spricht er gegen das vorher Gesprochene an, mal folgt er ihm, und ganz selten auch hören die Besucher genau das Selbe in zwei oder drei Stimmen. Ohne irgendwann einmal abzusetzen spielen sich die drei in einem jazzigen Rausch und alle anderen staunen und als sie geendet haben, meint einer: „Was war das denn?“ Eine halbe Stunde hat er mit offenem Mund zugehört und kann nicht fassen, was er da gerade erleben durfte.

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Musik an sich

Abends war er ausgewesen. Man kennt diese kleinen Eckkneipen, in denen er sich manchmal ganz gerne herumtreibt. Da gibt es eine mit dem schönen Namen Joes Garage in Lippstadt, die er besonders nett findet, auch weil dort Musik gespielt wird, mit der er was anfangen kann. Nicht unbedingt diejenige, welche er auch zu Hause hört, aber immerhin erträgliche. Neben ihn hat sich eine nette Frau gesetzt, die er kaum bis gar nicht kennt. Das ist vielleicht das Schöne an solchen Alleinkneipenbesuchen, man lernt einfach mal so ganz nebenbei Menschen kennen, die interessant oder auch völlig nervig sind, aber egal, man lernt Menschen kennen mit all ihren Vorzügen und Nachteilen. Menschen, die reden oder solche, die besonders gut schweigen können, einen ganzen Abend lang und mit denen man sich im Schweigen doch gut verstanden fühlt, ohne auch nur eine Silbe ausgetauscht zu haben. Irgendwann steht man dann auf und geht. „Was magst du denn für Musik?“ Solche intimen Fragen findet Herr Nipp nicht unbedingt gut, da kann sich das Gegenüber eigentlich viel zu viel über ihn ausmalen und ob er das will, weiß er selbst nicht. Aber gut, warum sollte er sich nicht auf dieses Spiel einlassen – er nennt einen seiner Lieblingssänger, Nick Cave, und wartet ab, was wohl passiert. „Kenn ich nicht. Aber ich mag Johnny Cash.“ Das ist wahrscheinlich eine dieser Ansagen, bei denen man kaum etwas falsch machen kann, spätestens seit den letzten drei Alben, die er kurz vor seinem Tod aufegenommen hat, kennt den fast der Hinterletzte und da kaum einer was Negatives über tote sagen will… Jetzt muss nur noch ein sinnvoller Übergang her – für ein tiefergehendes Gespräch über Musik. Klar – Cash – Cave – fangen beide mit C an und Cash hat zumindest Mercy Seat von Cave gesungen. Könnte ein schöner Abend werden.

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Realität

„Erst wenn wir das, was ist, als das, was es ist, erkennen, wird es uns zur Realität. Wir machen die Realität, sie kann nur in uns sein. Alles nicht Erkannte ist wohl da, aber für uns letztlich keine Realität, weil wir es nicht realisieren. So ist Realität immer ein aktiver Prozess der Wahrnehmung und Reflexion.“
Der Junge Mann, der Herr Nipp gegenüber steht, haut solche Satzungetüme heraus, als wären sie gestanzt, als wären es unbefragbare Wahrheiten, unverrückbare Monolithe des Wissens. Staunend folgt er dem Vortrag des jungen Mannes, bemerkt, dass auch die anderen Anwesenden völlig gebannt sind. „Philosophische Grundlagen“ heißt das gebuchte Seminar in der Hochschule. „Dieser Erkenntnisprozess führt zu unserer Menschwerdung und gleichzeitig einer grundlegenden Befragung des Seienden, genau das könnte die Grundlage von allem sein.“ Eine Stunde lang bekommen die Anwesenden eine Einführung, viele schreiben mit, machen sich Notate oder kritzeln auf ihren Blöcken herum, wahrscheinlich nehmen einige den ganzen Vortrag der Einfachheit halber auf. So kann man zu Hause alles noch einmal nacharbeiten. Es ist viel und wird immer mehr.
Leider ist das alles für Herrn Nipp nur eine Erinnerung, die in ihm gerade hochsteigt, Jahre her. Die erste Stunde damals. Aber er hat die Zeit des Studiums wirklich geliebt.

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Kerne

Das ist es also, was dieser Autor meint, den ich eben gelesen habe, denkt Herr Nipp. Der hatte über seine Motivation zu schreiben geschrieben, da ging es natürlich auch um jenen Kern oder auch Nukleus, das Wort, um das herum sich ein Text entspinnt, weil es so viele Assoziationen erlaubt oder gerade auch nicht und sich der Schreibende sein Terrain erarbeiten muss. Da wird auch von den weiteren Maßnahmen geschrieben, die dazu beitragen, in einen Schreibfluss zu kommen, der den Text geradezu sprudeln lässt. Herr Nipp also hat sich eine alte Schallplatte aufgelegt, per Zufall aus dem Stapel genommen, den er für seine Geburtstagsfeier herausgesucht hatte. Nach und nach hat er in den letzten Wochen diesen Stapel abgearbeitet, die Vinyls gespielt und zurückgestellt und jetzt stehen vor dem Plattenspieler nur noch 20 oder wenige weniger. nicht so ganz davor, eigentlich darunter, weil sein Teller oben auf der Fensterbank rotiert und sich nicht wie die Tonträger auf dem Boden befindet. „Boys don´t cry“ also von The Cure, eine Platte, die ihn schon seit seiner frühen Jugend begleitet, eine der ersten, die er sich gekauft hatte damals, als er auch seine erste Kompaktanlage erworben hatte. Von Hitachi, soweit er sich erinnert. Und plötzlich sind all die Erinnerungen da, an die schönen Stunden unter der Bettdecke, mit einem Buch eingekuschelt, weil er mal wieder keine Heizung an hatte. Vielleicht auch, weil er damals gefühlt nicht so gute Freunde hatte, die sollten sich erst später einstellen. Er erinnert sich plötzlich an die Esskastanien, die er sich immer gekauft hatte im Spätherbst und Winter. Damals gab es noch dieses tolle Gemüsegeschäft an der Ecke. Eigentlich eine ärmliche Holzbude, aber die alte Verkäuferin hatte immer die besten Waren. Seine Mutter hatte immer geschimpft, dass er gerade dort sein Taschengeld ließ. Erstens mochte sie die Frau nicht leiden und zweitens verkaufte sie die Gemüse und vor allem die Nüsse viel teurer als man sie beim Discounter erwerben konnte. Das Argument, dass es dort einfach besser schmeckte, zählte für seine Mutter nicht. Kaum hat er angefangen zu schreiben, ist die erste Plattenseite auch schon vorbei. Er steht auf, dreht die LP um und möchte zum Ende kommen, will seinen Text fertig kriegen, schließlich soll ja kein Roman entstehen, sondern ein kurzer, ein knackiger Text über seinen Vorgarten. Aber wo er schon mal dem Schreibsessel entkommen ist, geht er noch kurz zur großen Schale mit den Walnüssen in den Nachbarraum, füllt sich einige in eine kleine Schüssel und hat eine unglaublich Freude am Knacken. Mit den Nüssen ausgerüstet begibt er sich zum Rechner und schreibt den Text zu Ende. Zack zack. Ja denkt er, es braucht nicht einen Kern, sondern Kerne, um einen guten Text zu verfassen.

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