Fremdgespräch

Ferngespräche kennen wir alle, auch wenn wir sie so nicht mehr wahrnehmen, weil ja alles irgendwie in dieser ach ja so digitalen Welt zusammengerückt ist, denkt Herr Nipp, aber Fremdgespräche sind etwas ganz anderes, nicht über weite Entfernungen wird da telefoniert, sondern ganz unbeabsichtigt werde ich zum Mithörer des Gesagten, mal abschnittweise oder in Auszügen ohne jeglichen Kontext, mal auch in aller Breite, wenn die Menschen am Nachbartisch ob ihrer Erregung oder Trunkenheit immer lauter werden und sich gar nicht mehr zurücknehmen können. Zuweilen auch im Vorbeigehen.
Immer wieder gerät er in solche Situationen, die manchmal lustig anmuten, manchmal Anlass zum Nachdenken geben oder in einigen Fällen auch zum Fremdschämen sind. Meistens aber handelt es sich um nebensächliche Belanglosigkeiten mit Hang zum diffus Oszillieren. Mit anderen Worten gesagt, die meisten Gespräche sind eben, was sie sind; oberflächlicher Smalltalk, Themen werden kurz angeriss, nur um wenige Augenblicke später in der Versenkung des Vergessensstrudels zu versinken. Manchmal entstehen durch den Ausschnitt allerdings auch Stilblüten der deutschen Sprache, wie dieser Tage bei einem Besuch in Berlin. Zwei gewagte Gestalten kamen ihm entgegen, wobei es dort kein Wagnis des Aussehens gibt, da eben alles an Personenspielen vorhanden ist. Jeder spielt eine Figur oder besser ausgedrückt, jeder und jede zweite sieht sich als Hauptcharakter auf dieser Bühne einer hektischen Stadt, die scheinbar in erster Linie von Tourismus und dem politischen Apparat lebt, vielleicht auf ganz eigene Weise auch jede und jeder (alle anderen Geschlechter seien hierdurch nicht ausgeschlossen, auch wenn der Autor dieser kleinen Schmonzette natürlich weiß, dass egal, was geschrieben wird, der Schreiber in irgendein Fettnäpfchen zu treten gezwungen wird. Also bleibe es zukünftiglich wieder beim althergebrachten generischen Maskulinum. Alles andere ist auch viel zu umständlich, auch wenn man in heutiger Zeit gerade dafür gefeiert wird, nonbinär zu denken.) Die eine Figur, wahrscheinlich eine Frau mittleren Alters (also 30 bis 70), auch dies kann nicht ganz genau nachvollzogen werden, weil alles viel zu schnell ging, hastete voran den Bürgersteig entlang, der vermutliche Mann (in den besten Jahren, wie früher mal gesagt wurde, also kurz vor altsein) hinterher, leicht keuchend, offenbar ein seit Jahren starker Raucher. Er: „Wir können auch bei dir zu Abend essen, wenn wir hier keinen Platz bekommen.“ Sie: „Nein, zu Hause habe ich nur HARIBO.“

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.