Fragen fragen

Er hatte sich hinreißen lassen, mit zu dieser Vernissage zu gehen. An sich hat er bei solcherart Ereignissen immer ein etwas mulmiges Gefühl. Wer weiß denn schon, welche Leute dahin gehen, wer ihn links liegen lässt und vor allem, was die anderen von ihm denken. Man hat ja so irgendwie im Kopf, das sei eine geschlossene Gesellschaft der Sammler, Mäzene und Kunstkenner. Doch weit gefehlt, viele hier kennt er sogar und die Männer tragen auch keine schwarzen Anzüge, sondern Straßenkleidung. Die meisten Frauen sind schon etwas modebewusster, aber nicht überdreht. Die meisten Besucher haben ein Glas Weißwein oder Wasser in der Hand, nur einer trinkt Rotwein. In einer Ecke steht eine locker feixende Runde und trinkt Bier aus der Flasche. Alles längst nicht so schlimm wie erwartet, eher im Gegenteil. Irgendwann sucht jemand mit dem Flaschenöffner ans Glas klopfend die allgemeine Aufmerksamkeit. Oh Mann, denkt Herr Nipp, jetzt kommt bestimmt die befürchtete Ultra langweilige Rede eines lahmen Kunsthistorikers, bei der applaudiert wird, weil sie endlich vorbei ist. Nix da. Die drei ausstellenden Künstler haben beschlossen, selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Der Alte beginnt mit einem lustigen eigenen Gedicht, wird durch einen launigen Zwischenruf unterbrochen, auf den er eine gewitzte Replik gibt, dann kommen die beiden Jüngeren dran. Nach fünf Minuten ist der Spaß im wahrsten Sinne des Wortes zu Ende und der Alte schiebt noch hinterher, wenn jede und jeder sich fünf Fragen überlegen würde, könnte das Künstlergespräch in anderthalb Wochen sehr spannend werden. Jetzt überlegt Herr Nipp schon seit Tagen, was er denn wohl fragen würde. Aber er weiß schon jetzt, dass er sich nicht trauen wird.

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