Café au lait

Er könnte sich natürlich auch einen Kaffee an dem Automaten brühen, der in der kleinen Kaffeeküche oben steht. Dort müsste er sich eben kurz an den fünf bis sieben Kollegen vorbei mogeln, die den Ort zu ihrem Treffpunkt auserkoren haben, um über geheime und vielleicht sogar gaaaanz schlimme Vorkommnisse zu reden, von denen niemand etwas mitkriegen soll. Zumindest keiner von den Nichteingeweihten, vom inneren Kreis. Über Affären vielleicht oder wer gerade warum beim Chef sitzt. Also wirklich heikle Informationen, die nur hinter vorgehaltener Hand weiter gegeben werden. Weitergegeben werden können. Aber vielleicht ist das schon zu viel gesagt, denn wer weiß, wer das hier liest. Herr Nipp hat sich dagegen entschieden, keine Gerüchte, Grüppchenbildungen oder gar Seilschaften, Beruf ist und bleibt bei ihm Beruf, fertig. Er verbringt seine Pause lieber in der Cafeteria, das kostet zwar etwas dafür aber kann er ein nettes Pläuschchen mit einer der ebenso netten Damen hinter dem Tresen halten. Da geht es nicht um Verschwiegenheiten und Bündnisschwüre, sondern vielleicht um die Erlebnisse am Wochenende oder den gelungenen Kuchen, den die eine von ihnen als Thementorte gebacken hat. Möglicherweise zum 90. Geburtstag oder zum Start der Fußball-EM. Natürlich trinkt er sich hier eine der erträglichen Kaffeekreationen aus dem aufgestellten Automaten, aber dafür hat er um diese Zeit Platz und Ruhe für sich. Er wird die Tageszeitung durchblättern, welche jeden Tag ausliegt, vielleicht sogar einen lesenswerten Artikel finden, was sehr selten vorkommt. Er wird einfach ein paar Minuten vor sich hin stieren und ohne Gedanken und Stress dort sitzen. Kleine Freiheiten jedes Mal. Und er weiß, dass da oben in der Kaffeküche eigentlich eine Gerüchteküche eingerichtet wurde, die ihn selbst nur marginal betrifft.

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