Vergessen

Abends, wenn er vor dem Spiegel steht und sich die Zähne putzt, also kurz bevor er seine Knirschschiene einsetzt, etwas länger bevor er sich zu Bett begibt und vielleicht, aber das ist selten geworden, noch einige Seiten in einem Roman liest, den er noch nicht kennt, der ihn überraschen kann, mit einer neuen Geschichte etwa oder richtig guter Sprache, aber das kommt noch seltener als etwa früher vor, weil er in seinem Leben eben schon so viele Romane gelesen hat, die wirklich gut waren und natürlich noch mehr richtig schlechte, so dass er meistens schon nach 100 Seiten solche Bücher an die Seite legt und schnell vergisst oder zu vergessen trachtet, weil eben das Meiste doch in seinen Windungen irgendwie verhaftet bleibt, so nimmt er ein neues Buch, das ihn einsaugen kann, wie zuletzt im Roman “Trottel“ von Jan Faktor, dann überlegt er, was denn tagsüber wirklich wichtig war, was vielleicht auch erzählenswert erscheint und ihm kommen viele kleine Gelegenheiten und Begebenheiten, Erlebnisse und Beobachtungen in den Sinn, die er natürlich nicht aufschreibt, immer in der Anmaßung gedacht, er sei ja so klever wohl noch, das bis morgen früh nicht zu vergessen und er macht sich dann eben keine Notizen und am nächsten Morgen hat er höchstwahrscheinlich auch keine Zeit dafür, weil er in irgendeiner Zeitung liest und nebenebei auch noch seinen Deutschlandfunk hört und völlig vollgestopft mit wichtigen Informationen über das Vergehen der Zeit und Welt macht sich nun einmal niemand Notizen, das ist dann die spätere Ausrede, dass er alles das, was gestern noch so interessant und wichtig schien, letztlich im Vergessen verschwindet.

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