Flammen

Ein kleines Bisschen Glut reichte aus, um das Feuer wieder zu entfachen. Herr Nipp hat der Einfachheit halber nur ein paar Stücke Holz aufgelegt. Jetzt sitzt er auf seinem Lieblingssessel, einem schwarzen Ledersessel aus den sechziger Jahren, der vielleicht nicht gerade den heutigen Ansprüchen einer Wohnzimmerlandschaft entspricht, aber druchaus bequem erscheint. Die beiden Kissen auf dem Gestell sind arg zerknautscht und müssen regelmäßig aufgeklopft werden, aber gerade macht sie ja gerade aus. Leder und Federn, beides echt. Das Gestell ist aus Holz, Kirsche, oben herum ebenfalls mit Leder bezogen. Klassiker, hat mal ein Freund gesagt, der es wissen sollte, ein Designhistoriker, der sich im Speziellen mit den Folgen des Bauhausdesigns bis hin zu Achtzigern auseinandersetzt. Wie dem auch sei, tolles Stück, von dem Herr Nipp gleich zwei und ein passendes Sofa übernommen hat. Eigentlich hatten die auf dem Sperrmüll wandern sollen. Die von ihm initiierte Rettung der Möbelstücke kann allerdings nicht unbedingt als uneigennützig bezeichnet werden. Egal, jetzt stehen sie sicher im Wohnzimmer und dieser eine Sessel direkt vor dem Iron Dog, dem gusseisernen Ofen, der die die gesamte Wohnung wärmt. Und das beste daran ist, dass die Flammen flackern, lodern, das Holz umtanzen und umspielen, ein ursprüngliches Ringen um Sein und Nichts. Auf dem Plattenteller liegt eine Vinyl von den Apewards, nicht unbedingt romantische Klänge, sondern eine klare Rockansage. Brettharter Stahlbeton. Seine Füße hat er in Richtung des Ofens ausgestreckt und im Mund entfaltet sich noch der frische Geschmack der Pizzabrötchen mit Knoblauchmajonaise, die er eben gegessen hat. Es ist wie früher in seiner Kindheit. Wie er es geliebt hat, vor dem damals noch vorhandenen offenen Kamin mit seinen Legosteinen zu spielen. Spezialgebiet: Entwicklung futuristischer Flugzeuge. Manchmal setzte sich die Mutter dazu, strickte oder häkelte dann. Meistens aber war der kleine Bruder dabei, der vor kurzem inzwischen ebenfalls schon die Fünfzig gerissen hat. Verrücktes Vorrücken der Zeit, so schnell und effektiv, so brutal. Er hatte es genossen, immer wieder in die Flammen zu schauen und die Hitze auf der Haut zu spüren. Eigentlich würde jetzt ein guter Rotwein dazu passen, denkt er, erinnert sich an die guten Zeiten, in denen er sich be- und geschützt gefühlt hatte. Zurückzudenken an die verschwundene Innigkeit, das blinde Verstehen. Doch er hat vor vielen Jahren den Beschluss gefasst, niemals Alkohol zu trinken, wenn er allein ist.

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