Spinne

Vor vielen Jahren, damals mussten junge Männer in Deutschland noch den Militärdienst absolvieren, hatte Herr Nipp genau diesen verweigert und seinen Dienst in einem Familienferien- uind Bildungsheim angetreten, was sich ja eigentlich ganz nett anhört. Wären da nur nicht der Dienst und Chef gewesen. Der erste ging von morgens teilweise bis in die Nacht (halb sieben Hallenbadaufsicht, dann Küchendienst, Abrechnung Bierstube, Hausmeisterdienste, Küche, Hausmeisterdienste, Hallenbadaufsicht, Küche und abends dann Bierstube bis halb elf, ein ereignisreicher Tag also), also nichts mit Ferien und der zweite war ein intelligenter kolerischer Poltergeist. Mal hatte der seine herzensgute Phase, dann konnte man viel von ihm lernen und alles war super. Dann gab es allerdings diese Tage, da wusste jeder Zivildiensleistende der Einrichtung, dass es besser ist, wenn man erst gar nicht gesehen wird. Damals war es noch üblich, mit Zigarette oder anderen Rauchwaren durch jeden Raum zu laufen, der Chef zumindest hatte immer seine Pfeife mit einem wirklich gut duftenden Tabak an. Das war von Vorteil, wollte man dem ausweichen. Andererseits hatten die Zivis auch tolle Freiheiten, sie konnten wann immer das Schwimmbad nutzen, auch nachts mit Freunden, dann wurden beide Augen zugedrückt. Von Zeit zu Zeit bekamen sie die übriggebliebenen Reste aus der Küche. Und die waren wirklich gut. Einige von ihnen lernten den Umgang mit dem Fotolabor, Herr Nipp gehörte dazu. Sein Chef war ein echter Kenner der Fotografie und besaß sogar Originalabzüge und wohl auch Negative von Renger-Patsch. Einer der beiden Hausmeister hatte ein gutes Herz und steckte ihnen alles zu. Der andere war ein echtes Arschloch, faul und missmutig. Aber vor allem durften die sechs Jungs Reptilien und Spinnen in ihren Zimmern halten. Der eine Zivi war ein echter Spezialist in Sachen Spinnen, später hat er Biologie studiert und leitet inzwischen ein Institut, gilt wohl als führender Arachnologe mit seinen rund 200 Neuentdecktungen und Neubeschreibungen. Der jedenfalls hatte damals auf der zu mähenden Wiese hinter ihrer Einrichtung eine Wespenspinne entdeckt und Herrn Nipp gezeigt, mit kaum geleugneter Begeisterung davon erzählt, dass diese Art sonst nur in warmen Gegenden vorkomme und damals schon darauf verwiesen, dass diese Sichtung ein untrügliches Anzeichen für die Veränderung des Klimas im Sauerland sei. Zu dieser Zeit haben nicht viele das verstanden. Vermutlich auch Herr Nipp nicht. Heute spürt es jeder an der eigenen Haut. Das ist nun 44 Jahre her und dieser Tage hat Herr Nipp bei einem seiner Rundgänge auf dem nahe gelegenen Friedhof eine solche Spinne entdeckt, die ihr Netz vor dem Loch eines verlassenen Kaninchenbaus gebaut hatte. Fast wäre er da hereingetreten und hääte sich wer weiß was verstaucht oder gar gebrochen, hätte die auffällige gelb-weiß-schwarze Zeichnung dieses Tieres ihn nicht kurz vorher aus seinen Gedanken gerissen.

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