Drei oder vier

Als kleiner Junge hatte er sich immer gewünscht mitzusingen. Er wollte mit den heiligen drei Königen durch die Lande laufen und das Lied in die Wohnungen schmettern, „Halleluja“, er wollte dafür Schokolade einkassieren, viel Schokolade und alle möglichen anderen Süßigkeiten natürlich auch und leckeres Obst, Orangen, Äpfel und manchmal vielleicht auch einen Groschen zugesteckt bekommen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wieviele Schnuckelsachen so kurz nach Weihnachten in den Schränken nur darauf warten, dass endlich jemand kommt, um sie gierig zu essen. Irgendwann war es dann so weit, im Jahr nach der Kommunion. Er durfte mit drei anderen Jungs (zwei weitere Könige und einem Sternträger „Seht ihr unsern Stern dort stehen? Helles licht in dunkler Nacht, Hoffnung auf ein neues Leben hat er in die Welt gebracht.“) in einem vorher festgelegten Gebiet dieser Kleinstadt singen gehen, sie sangen aus voller Kehle, sicher auch manches Mal schief, aber sie machten dabei vielen Menschen Freude, schufen Erinnerungen an eine andere Zeit. Auch das ist wichtig. Seine Mutter hatte ihm das Gesicht mit einem Korken geschwärzt, er fühlte sich hinter dieser schwarzen Maske sicher und war so stolz, den afrikanischen König spielen zu dürfen. Er wäre wirklich gerne ein afrikanischer König gewesen. Letztens hat Herr Nipp ein Bild davon gefunden, ein Foto, das sein Vater in der Diele gemacht hatte. Vier Jungs voller Tatendrang, nicht gerade die besten Freunde, aber für diese Aufgabe genau die richtigen, niemand damals hätte im Blackfacing, wie es heute wohl genannt wird, etwas Böses gesehen. Vielmehr ging es darum, zu zeigen, dass vielfältige Menschen, mächtige Menschen aus der ganzen Welt die ersten waren, die dem Herrn, dem winzigen Jesuskind in der Krippe huldigen. Aus heutiger Sicht natürlich ein völliges Unding. wie kann sich ein Weißer nur anmaßen, so zu tun, als sei er ein Schwarzer! Wie konnte so etwas nur sein? Inzwischen sind rund vierzig Jahre vergangen, Jahre, die viel verändert haben, aber ist das Anliegen denn so falsch gewesen? Ist der kindliche Wunsch am Verkleiden falsch gewesen, das Gefühl, einmal König zu sein? Oder anders gefragt: Ging es ihm in irgendeiner Weise darum, irgendeinen farbigen Menschen lächerlich zu machen?

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