Ein Buch lesen

Das Alter ist nicht zu leugnen. Da sind die Marotten, die sich über die Jahre und Jahrzehnte eingeschliffen haben, die Skepsis gegenüber vielem Neuen, die sich auch meist bewahrheitet hat, und gleichzeitig eine Neugier eben darauf. Das hat er wieder einmal erfahren, irgendwann am Stran sitzend. Wie wir wissen, natürlich nicht in der Sonne, Alle zwei Tage jenes Urlaubs, die er direkt am Meer verbrachte und nicht unterwegs auf Schusters Rappen war, suchteer dort doch eher den Schatten auf. Socken in den Schuhen, damit er dem Sand nicht so spürt. Er hatte ein Buch mitgenommen und darin gelesen, denn schon nach kuzrer Zeit hatte er sich am Vortag vom Leben dort gelangweilt gefühlt. Es sind die immer gleichen Rituale zu sehen, dabei agieren bestimmte Typen nach bestimmten Schemata. Da sind die Poser, die sich öffentlich als Show entkleiden, Striptease ohne absolutes Ende, aber schon sehr witzig manchmal. Da sind die Familien mit einigen Kindern. Meist sucht der Vater den Platz aus, geht dazu mit dem Gepäck voraus und lässt dieses an der gewünschten Stelle fallen. Die Mütter breiten schnell die Decken aus, helfen den Kindern beim Umzieghen, wenn diese nicht schon nur mit Badehose oder Bikini angekommen sind, dann werden alle schnell und effektiv eingecremt. Die Kinder stürmen los ins Wasser, Gequietsche beim ersten Eintauchen. Da sind die Pärchen, die sich genre in eine eher einsame Ecke zurückziehen, die Freundinnen, die sich dann doch bestätigt fühlen, wenn von Zeit zu Zeit Verehrer versuchen, Gespräche anzufangen. Die alleinstehenden Damen mit ihren Hüten gegen die Sonne, die sich auch oft einen Schirm mitbringen. Seltsamerweise sieht man seltener alleinstehende Männer, die trauen sich vielleicht einfach nicht. Es scheint wohl Gründe dafür zu geben, dass sie alleinstehend sind. Er hatte sich das Buch übrigens auch mitgenommen, weil er irgendwann einmal gelesen hatte, dass man sich damit einfach fast überall eine Distanz zu den Anwesenden aufbauen kann, liest man einige Seiten und döst dabei ein, neimals werde jemand angesprochen, der lese, wohl aus Rücksicht oder weil man Leser langweilig findet, ganz nebenbei war es auch noch richtig spannend, denn dort war eine Vision darüber verfasst, was passieren würde, wenn es plötzlich keine Menschen mehr auf dieser Welt gäbe. Faszinierender Gedanke und irgendwie auch gruselig. „Du bist aber kein Strandgänger“, wird er von einer gut aussehenden Frau angesprochen, anscheinend ist es wohl üblich, andere Menschen am Strand zu duzen. Er äugelt unter seinem schwarzen Strohhut, den er bei einem Strandverkäufer für 6 Euro gegen die direkte Sonneneinstrahlung auf seine Glatze erworben hatte, hervor und findet ihre im Schatten liegenden Augen. „Warum?“ „Na, alle hier liegen auf den Tüchern im warmen Sand und genießen das freie Leben hier, nur du sitzt gerade wie eine Salzsäule oder jemand, dem man einen Stock in den Rücken gebunden hat, liest eine wissneschaftliche Abhandlung und bist komplett bekleidet. Das sieht man hier nicht oft. Die Leute reden schon über dich.“ Nein, tatsächlich hat er sich noch nie wohl dabei gefühlt, am Strand zu liegen, dann kehrt eine Unruhe bei ihm ein und er steht nach kurzer Zeit wieder auf, die Umgebung zu erkunden. Es scheint ihm immer wie vertane Zeit, die er besser dafür hätte nutzen können, durch die Natur oder Umgebung zu streifen und kleine Entdeckungen zu machen, an denen er sich erfreut. Eidechsne, andere Repilien, Insekten und Spinnen, die Pflanzen, Gräser und Blumen jeglicher Farbe, Steine und Holzstückchen mit interessanten Strukturen. Eigentlich findet er alles interessant, interessanter zumindest als das Liegen im Sand. „Ja, das stimmt wohl, aber ich wollte zumindest sehen, wie das vielgerühmte Strandleben eigentlich so ist. Wird nicht wieder vorkommen, versprochen.“ „Nein, so war das nicht gemeint, aber sie fallen schon sehr auf.“ „Genau das wollte ich vermeiden.“ „Setzen sie sich doch zu uns.“ „Eigentlich möchte ich meine Ruhe haben“, sagt er, während er schon dabei ist zu packen. Eine Minute später ist er wieder unterwegs, hat seine Sacken in den Rücksack gepackt und ist wirklich glücklich, als er die erste Smaragdeidechse entdeckt.

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