Ödnis

So lahm, so langweilig hat er selten einen Tag erlebt. Wie gelähmt, als habe jemand ihn mit Klebe verkleistert, nimmt er seine Umgebung wahr. Alles scheint er von unter der Käseglocke zu beachten und hier ist nicht Beobachtung gemeint, welche die arme arme Frau im Roman „Die Wand“ machen muss. Offensichtlich existiert da draußen bei ihm immer noch eine funktionierende Welt mit lebenden Menschen und Tieren. Nein, hier handelt es sich nicht um die fiktive Zustandsbeschreibung einer Frau, welche vom Patriarchat genug hat und endlich eigenständig wird. Quasi von Schicksal der Männer entledigt. Erstens leidet Herr Nipp nicht unter einem angeblichen Patriarchat (die Hälfte der leitenden Angestellten in seinem Betrieb sind weiblich), zweitens ist er ein Mann (zumindest nimmt er das aufgrund seiner Physis und der Fähigkeit der Kindszeugung stark an) und drittens hat er schon vor einigen Jahren das eigenständige Leben für sich entdeckt (Hier soll auf die Gründe, warum, nicht weiter eingegangen werden, auh wenn das mal ein wirklich spannendes weites Feld wäre). Und seien wir ehrlich, so schlimm ist das gar nicht, Eigenverantwortung. Das heißt natürlich nicht, dass er keine Rücksicht auf andere Menschen nimmt und eine Frau, wenn sie in seinen Dunstkreis kommt, wird er mit absoluter Sicherheit nicht erschießen. Anders als die Frau in besagtem Roman, die den Mann nur als Bedrohung empfindet und ihn vom allgemeinen Leiden des Lebens erlöst. Was, ein Akt der Befreiung? Das also wird in Feminist*innenkreisen als Akt der Selbstbestimmung gefeiert? Na gut, damit kann Herr Nipp einfach herzlich wenig anfangen. Er fühlt sich heute einfach nicht gut und wird sich daher lieber in sein Schneckenhaus zurückziehen, die Welt an sich vorbei laufen lassen und morgen mit neuer Kraft vielleicht wieder zur Stelle sein. Dann räumt er die eigene Ödnis mal wieder auf, findet Zündhölzer für ein wärmendes Feuerchen, schiebt die Trümmer der Vergangenheit beiseite und freut sich bei einem Glas frischen Wassers seines Seins. Und durch ein Glas Wasser betrachtet, ist die Welt sogar manchmal sehr lustigm, wenn auch etwas verzerrt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.