Sonntag, einmal wieder

„Sag mal“, meint die Frau, welche er gerade kennengelernt hat, ganz unverblümt, „hast du eigentlich jemals so richtigen Sonntagsfrust geschoben? An solchen Sonntagen, an denen eigentlich gar nichts passiert, vielleicht noch ein lahmer Spaziergang mit der Familie und ansonsten wird dann nachmittags Kuchen gegessen und Kaffee getrunken und du hast das Gefühl, dass all das gar nichts mit dir und deinem Lebensgefühl zu tun hat? Solche Sonntage eben, die flüssiger als flüssig sind, die man am liebsten aus dem Gedächtnis streichen würde, was man allerdings gar nicht muss, weil man sie auf jeden Fall vergessen werden, die gar nicht die Möglichkeit haben, sich einzunisten im Gedächtsinn, weil sie einfach nur öde sond, ob ihrer Belanglosigkeit, ihrer Ereignislosigkweit, ihrer Sinnlosigkeit, ihres fehlenden Gestaltungswillens? Hast auch du solche Tage, vor allem aber eben Sonntage, die eigentlich große schwarze Löcher des Vergessens, des Vergessenwerdens sind und du fragst dich dann plötzlich, ob das alles hier in irgendeiner Form überhaupt sinnvoll sein könnte? Oder gehörst du zu den Menschen, die klar ein sinnerfülltes Lebens führen mit ebenso klaren wie sinnvollen Strukturen und tiefgehenden Betrachtungen der Welt, die möglichst auch noch in irgendeiner Form verschriftlich werden müssen, weil du den Glauben hast, das interessiere irgendwen außer dir selbst? Gehörst du zu diesen Familienmenschen, deren ganzes Glück darin besteht, den gesamten Sonntag lang an dieses Abendessen zu denken, dass du mit deinen Söhnen gerne zubereiten würdest, weil es ja so unglaublich viel Freude macht, mit anderen und für andere die wertvolle Lebenszeit zu opfern, mit ihnen Speisen, nicht einfach nur Essen zuzubereiten und am besten auch noch kulinarisch zu verfeinern und dann abends zusammenzusitzen und das Mahl gemeinsam einzunehmen? Gehörst du zu den Menschen, die nichts mit sich anzufangen wissen, weil sie wissen, dass sie von anderen Menschen für zu unbedeutend wahrgenommen werden und jeder weiß, dass es niemals möglich ist, aus dieser Nummer herauszukommen?“ „Viele Fragen, viele Fragen, “ meint Herr Nipp, setzt sich in seinem schwarzen Ledersessel aufrecht, soweit das in diesem Möbelstück überhaupt möglich, denn die äußere
Haltiung vermittelt so viel über die innere und er möchte nicht als Schluffi erscheinen, der sich selbst aufgegeben hat. Er blickt ihr tief in die Augen, soweit diese Metapher überhaupt sprachlich funktionieren kann, die er für absolut überholten Schwachsinn erachtet, zumindest in diesem Augenblick, der ihm an die Nieren geht und wahrscheinlich auch in die Gallenblase, die zum Glück gerade keine Spierenzchen macht. „Ich kann mich eigentlich gar nicht erinnern.“

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