Regen

An diesem Morgen sieht Herr Nipp aus dem Fenster, er hat die Nacht lang und gut geschlafen. Erschöpfungsschlaf. Draußen stehen Rosen vor dem Fenster, lachsrosa. Dieser warme Ton mag vielleicht etwas kitschig sein, ja, aber Rosen, die ihm so ins Gesicht lachen, die kann er nur mögen. Er war gestern nach einem arbeitsreichen Tag früh ins Bett gegangen, völlig ermattet, merkte, dass er doch langsam alt wird. Früher einmal war er nach solchen Anstrengungen abends noch raus gegangen und bis zum frühen Morgen irgendwo geblieben, bei Freunden oder einer Party. Heute ist er dann einfach nur froh, ins Bett gehen zu können. Ja, er ist sogar glücklich. Unzufrieden, aber glücklich. Das Andere hat er schließlich gemacht, das nimmt ihm niemand mehr. Den ganzen Tag hatte er mit Spitzhacke und Spaten gearbeitet, das Loch in den Abhang geschnitten, passend für den großen Wassertank, den er gebraucht geschenkt bekommen hatte. Da die Sommer seit Jahren von längeren Dürrezeiten geprägt sind, will er in Zukunft Wasser sammeln, sich zumindest teilweise autark machen. Er hat bereits Hochbeete angelegt, die mit einer Mischung aus Humus, Mutterboden und Lehm gefüllt sind und damit durchaus lange Wasser halten können, doch es fehlten ihm Zisternen. Vor wenigen Tagen hatte ihm jemand ein altes weißes Wasserfass im Stahlrahmen geschenkt. „Das kann ich nicht mehr gebrauchen, aber vielleicht kannst du ja etwas damit anfangen. Musst du nur eine neue Palette drunter stellen. Passen tausend Liter rein.“ Ein Kubikmeter Wasser hilft zu überbrücken, wenn es mal knapp wird. Wenn mehr Menschen Wasser sammeln würden, ginge es im Sommer nicht so sehr an den Grundwasserspiegel.
Er kämpft sich aus dem Bett und merkt jeden einzelnen Muskel im Leib. Auch das ist gut. Wenn man den Körper spürt, denkt er, dann lebt man noch. Seine Tante hatte früher einmal gesagt: „ Wenn du mit über fünfzig morgens aufwachst und hast keine Schmerzen, dann bist du tot.“ So schlimm ist es eher nicht, aber ein wenig dran ist schon, denkt er. Er geht in die Küche, setzt Kaffee auf, stellt die Bialetti auf den Herd, öffnet die Tür zum Garten und traut seinen Augen kaum. In der Nacht hat es geregnet, das Fass ist schon zu einem Viertel gefüllt. In solchen Momenten wird er vom Glück überrollt.

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