Umgebungserkundung – wertneutral

Den Tag über hat er damit verbracht, die Gegend, in welche ihn dieser Urlaub verschlagen hat, kennen zu lernen, zumindest aber sich einen ersten Eindruck durch Erlaufen zu verschaffen. Durch Kurven und Umwege hat er letztlich das altertümliche dorf erreicht, hier und da mal an den am Wegesrand stehenden Früchten genascht, eine Passionsfrucht ergattert und sie freundschaftlich mit der Begleitung geteilt, einige reife Brombeeren gepflückt und verschiedene andere Leckereien, wie die Blätter des Rosmarins, des Origanos oder die reifen Samen einer Malve in seinen Mund geschoben. Nur die dicken Avokados, die er an einem risigen Baum hängen sah, konnte er nicht erreichen, auch einige streng bewachte Pfirsiche und Dattlpflaumen nicht, die sich hinter Stacheldraht tief in einem Garten verbargen. Er hat weiterhin einen faszinierenden Schulgarten entdeckt, welchen er gerne als Speisekammer genutzt hätte, der ihm aber glücklicherweise unerreichbar blieb. Wie immer fühlt er sichersten, wenn er ein fremdes Landes kulinarisch erkundet, die berauschenden neuen Geschmacksrichtungen und Gerüche, die von jeder Ecke neu auf ihn, seine Gemachmacksknospen und Nasenschleimhäute einströmen. In dieser Zeit raucht er auch nicht, damit die Sinne frei sind. Selbst als die beiden Freunde erschöpft im Schatten einer Bushaltestelle eine Flasche Wasser in den Körper pumpten, konnte er sich nicht entziehen, nur die offensichtlichen Schönheiten der Landschaft in sich aufzunehmen, er musste auch feststellen, dass bestimmte Zusammenstellungen zwischen architektonischen Elementen und der dazugehörigen Bepflanzung ein Bild über die Struktur der Menschen vermitteln. Der besondere Geruch von genau beschnittenen Thujahecken über Betonmauern und frischem Asphalt ist ihm ein Erlebnis, das genauso wichtig ist, wie der Rosmarinzweig den er sich vom Wegesrand gezupft hat. Den er zwischen Daumen und Zeigerfinger, immer wieder daran riechend, zerrieben hat. Die meisten Menschen vergessen über die Vielfalt der visuellen Eindrücke und Sensationen, ihre anderen möglichen Sinne wirklich wahrzunehmen und damit ein umfassenderes Bild zu machen.
In diesem Augenblick blickt er auf, dass er das eben noch geführte Gespräch mit der Nachbarin, über die eigenen Gedanken nicht nur vernachlässigt, sondern glatt vergessen hat. „Ich gehe dann  gleich mal duschen.“

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