Beobachtung

Damals hatte Herr Nipp noch Haare gehabt. Nicht dass das für diese Geschichte von irgendeinem Belang wäre, aber irgendwie muss man doch anfangen und außerdem wird jedem Leser so auch deutlich, wie lange alles schon her ist. Denn wir wissen ja, unseres kleinen Alltagshelden Haupt ließe sich auch gut als Spiegel nutzen, würde er nur lange genug polieren. Aufgabe dieses Erlebnisberichtes ist es aber, nicht die Gegenwart zu zeigen, sondern der Vergangenheit ein kleines Denkmal zu setzen. Denk mal!

Er hatte damals natürlich nicht so eine tolle Tolle geahbt, wie sie heute bei den diversen Potentaten auf der ganzen Welt üblich ist, so eine Hybrisfrisur, deren Tradition auf die barocken französischen Könige zurückgeht. Pomp durch Perücke. Seine Mutter hatte ihm mal wieder seinen üblichen Topfschnitt verpasst. Katastrophe, aber besser als der Haarschnitt beim Frisör an der Ecke, der in regelmäßgen Abständen im Laberschwall auch mal das Ohrläppchen erwischte, dabei hätte er doch wissen müssen, dass die meisten Kunden keine holländischen Künstler waren. Hinten standen halblange Rattenschwänzchen heraus und lagerten auf dem Kragen. Die siebziger Jahre auf dem Land waren gewiss kein ästhetisches Vergnügen. Aber rückblickend würde Herr Nipp es heute vorziehen, solche Haare zu haben, als gar keine.

Neben Lesen war seine Lieblingsbeschäftigung in dieser Zeit das Ausdemfensterschauen. Er konnte unerkannt sehen, was draußen passierte, musste aber nicht selbst daran teilnehmen. Außerdem sah er dann sein Spiegelbild, wenn die Augen anders fokussiert wurden. Er sah, was die anderen, auch die anderen Kinder machten, was in der Natur passierte. Doch nie wieder würde ihm das Freude bereiten. Ein Vogel war geradewegs auf ihn zugeflogen und fünf Zentimeter entfernt vor die Scheibe geknallt.

Zugegeben ist dies wirklich kein Denkmal und keine erzählenswerte Geschichte. Aber oft gibt es die kleinen Momente, die wir gar nicht ernst nehmen und die uns doch prägen. Und Herr Nipp musste unwillkürlich vorgestern an dieses Erlebnis denken, als er in seinem Auto sicher gegen den Regen geschützt um den Möhnesee herumfuhr, um sich dort die besten Pommes des Sauerlandes zu holen. An einer Stelle kam ihm ein Auto auf seiner Spur entgegen, welches gar keine Anstalten macht auszuweichen. Solche Machtspiele mag er bekanntlich nicht gern. Er ist ausgewichen, auf den Fußgängerweg, der glücklicherweise gerade frei war.

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