Natürlich weiß er selber, dass er sich kaum einmal über zwei oder drei Stunden am Stück konzentrieren kann, zumindest dann, wenn es darum geht zu schreiben. So setzt er sich meist morgens sehr früh an seinen mit dem Netz gekoppelten Rechner. Kurz schaut er auf die Seite des Deutschlandfunks, da finden sich meist die wichtigsten aktuellen Nachrichten. Dort findet sich meist der Schrecken, ohne dass es Bilder gebraucht, in Worten. Das Versagen der Menschen in Bezug auf das Denken und Handeln. Die demokratischen und autokratischen Katastrophen, die unser Denken besetzen, die Realität verändern und das Tun beeinflussen. Jedesmal weiß er dann, dass letztlich ein Grundzustand hergeführt werden muss. Es geht in der Weltpolitik darum, eine Grundangst zu schüren, als Dauerzustand, damit die Menschen still bleiben, dann, nur dann vielleicht, werden sie auch mit Brot und Spielen belohnt. Jedes Aufmucken bringt die Eliten in Gefahr, bringt das angesammelte Vermögen in Gefahr, welches über Generationen weitervererbt wurde. Blasierte Bengel, die sich nun als Unternehmer bezeichnen, erben Wahnsinnssummen, die sich automatisch durch Dividenden weitervermehren. Wahnsinnssummen, für die andere geschaffen haben. Gerechtigkeit ist anders; wer allerdings Angst hat, wird dagegen nichts unternehmen. Eine Gesellschaft wird Akkumulatoren und der Katalysatoren bedürfen, um Veränderungen anzustreben und von diesen gab es bisher in der Weltgeschichte nur wenige. Und diese haben dann auch nur kurz aufgeblitzt und sind letztlich doch gescheitert. Wer hell brennt, verglüht schneller.
Zwischendurch setzt er seinen Kaffee auf, der aus einer großen, einer breitrandigen Tasse mit viel Milch getrunken wird. Nicht weil dies etwa besser schmeckt als schwarz, aber so kommt er schnell an seinen Suchtstoff, ohne sich den Mund zu verbrennen. Den letzten Schluck aus der Bialetti trinkt er natürlich pur. Schwarz, würzig mit einem Hauch Lakritzgeschmack.
Dann beginnt er zu schreiben. Wort für Wort, erst langsam, darauf immer rauschhafter. Ausgehend von seinen Notizen, die er über den Tag gemacht hat, von den Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit, von der er glaubt, es sei besser, sie nicht zu vergessen. Ausgehend auch von seinem wenigen Wissen, der ihm eingepflanzten Bildung, den gelesenen Büchern. Er weiß, dass er irgendwann beginnen wird zu vergessen, wie sein Vater, Demenz, dann will er zumindest diese wenigen Erinnerungen schriftlich erhalten haben, damit er sie sich vielleicht lesend noch einmal erschließen kann. Damit andere Menschen diese Gedankenfragmente, diese erlebte Geschichte lesen können und dann herzlich darüber lachen. Ja, dieses herzliche Lachen über das Absurde der Perspektive ist ihm wichtig. Das Leben, das weiß er inzwischen, ist ein lächerlicher Zustand, der von Zufällen bestimmt ist und an diesen hängt. Glück und Schicksal sind eins, Unglück und Schicksal auch. Wenn nun Zufall Glück ist, ist er auch Schicksal und gleichzeitig Unglück. Jenseits der geschürten Angst werden die Dinge absurd. Denn versuchen wir doch einmal die Normen abzulegen, die Gepflogenheiten beseite geschoben, die Moral tabularasa. Dann betrachten wir doch einmal unser Handeln als Abstrakt. Jedes Handeln ist Ausprägung unserer Kultur. Jedes Reden eine Verschleierung. Und genau darum schreibt er, er hat unsere Lächerlichkeit im Streben erkannt.