Vom Schreiben und Geschriebenhaben

Eigentlich wusste Herr Nipp schon immer, dass er nichts zu sagen hatte. Er genoss aber dieses herrlich beruhigende Geräusch, wenn er im Zweifingersuchsystem in immer wechselnden Rhythmen die Tastatur bearbeitete. Sich dem visuellen Rastersystem hingab, welches sicherlich noch effektiver hätte bearbeitet werden können, hätte er doch nur jemals das Zehnfingersystem gelernt. Aber das schien nicht nur zu spät, er wünschte inzwischen gar nicht mehr, dieses tatsächlich zu beherrschen. Dieses Geräuschmodell gab ihm dann Sicherheit, wenn alles in der gelebten Realität mal wieder aus den Fugen zu geraten schien. So konnte er tagelang unablässig auf seinem Laptop schreiben. Wusste mehr oder weniger gar nicht, was er da fabrizierte. Und das schon seit vielen Jahren. Er konnte sich auch meist schon Stunden später nicht mehr an die Texte, die Inhalte des Geschreibsels erinnern. Wozu auch, was keinen Inhalt hat, muss ja nicht behalten werden. Nur manchmal hatte er das leise Gefühl, alles habe doch eine Bedeutung, alles sei so etwas wie Zeitkolorit einer aussterbenden Aera, einer Sprachepoche, die schon sehr bald untergehen sollte. Als sei er eine Art Chronist auf der Arche Linguista. Was denn, wenn die Sprache des zweiten Falls verlustig gehen würde? Könnten denn dann die Nachfolgenden überhaupt noch alte Texte verstehen oder müssten diese denn wohl dativisch übersetzt werden, so ungelenke Spreizformulierungen, dass der Fluss verschwinden würde, jene Taktung, die den Reiz des Wortes teilweise ausmachte. Oder noch schlimmer, vielleicht stürbe diese wunderbare Märchenzeit, die sich zum Erzählen selbst konstruiert, das Plusquamperfekt. Das hatte er sich als Kind niemals vorzustellen getraut, wären doch seine inneren Erlebniswelten daran zerbrochen. Er stellte sich auch manchmal eine Sprache vor, in der es keinen Konjunktiv gäbe, alles wäre keine Vorstellung mehr. Im Nachüberprüfbaren braucht es des Könnte nicht mehr. Alles ist real oder stellt eben eine alternative Realität dar. Schöne Welt ohne Umschweife, in welcher Lüge und Wahrheit gleichberechtigt neben einander stehen und niemand weiß, was denn nun wohl was ist. Solcher Überlegungen konnte er sich zuweilen ergeben, haute dann Wortkolonnen in die digitale Maschine und lächelte selber.

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