Frühstück – zwei Entwürfe

Der Plan des Tages: Frühstücken und dann den Tag planen.

Er ist gerade aufgestanden, hat sich die ihm fremden Hotelpuschen angezogen und schlurft halb verschlafen zum Bad. Man möchte sagen zum Badekomplex seiner wirklich viel zu großen Suite. Er weiß selber nicht, wie genau er daran gekommen ist, aber so sieht es nun mal aus. Eine Wohnlandschaft, in welcher ohne Probleme einige Familien Platz finden würden, für eine Person und das nur aufgrund eines Missverständnisses, nur aufgrund einer Beschwerde, die er schriftlich auf dem im Altpapier gefundenen Briefpapier eines kürzlich verstorbenen Anwalts verfasst und abgeschickt hatte. Die Hotelkette wolle sich für diese Unzulänglichkeit auf das Höflichste entschuldigen und biete ihm als Zeichen der Güte einen Urlaub in einer der besten Wohnungen an. Wo er wolle.
Schon allein das Aufstehen ist für ihn zur Qual geworden, hatte er sich doch am vorigen Abend mit einigen teuren und dabei auch noch gut mundenden Weinen die selbst gewählte Einsamkeit versüßt. Also duscht er, vertreibt mit abwechselnd kaltem und heißen Wasser die Müdigkeit, den Anflug von Kater aus den Poren. Das prickelnde Duschgel hat eine anregende Wirkung. Der Elektrorasierer macht sein Werk. Diese Vibrationen auf der Haut lassen ihn daran denken, wie es eigentlich ist zu leben. Wie es ist, wenn der Wind weht, wenn es regnet und man trotzdem oder gerade deshalb glücklich ist. Nach einer halben Stunde wird er schon mit ganz neuer Tageszuversicht die Kleidung anlegen, die in der Zwischenzeit eine fremde Kammerzofe auf das Bett gelegt hat. So kann man es sich gut gehen lassen. Er schlendert oder besser flaniert in den großen, sehr gut ausgestatteten Frühstücksraum, in dem schon alles gerichtet ist. Blick auf das Meer, die Möwen ziehen ihre Wege, der Himmel blau. Man muss das Leben genießen. Aber erstmal einen Kaffee.

vielleicht war es aber auch so:

Der Tagesplan sieht zunächst vor, zum Frühstück zu gehen und ausgiebig zu essen. Mit Ruhe, die Nacht in diesem kleinen Zimmerchen war schon schlimm genug. Nicht eigentlich schlimm, denkt er, aber unerwartet gewöhnungsbedürftig. Einige Tassen Kaffee trinken und sich dann im Verlauf der Zeit Gedanken zum  weiteren Tag machen, vielleicht eine andere Unterkunft für die restliche Woche suchen. Die Landschaft allerdings liegt in aller Weite vor dem Fenster und eigentlich ist das Zimmer doch gar nicht so wichtig. Es wird sich ein selten gegangener Weg finden, ein Pfad. Diesen wird er sich ersinnen zu gehen, vielleicht noch einmal einen alten Weg, den er schon fast vergessen hatte in dieser Erinnerungslandschaft. Doch zuerst muss dieser unruhige Schlaf mit einer langen Dusche aus den Knochen vertrieben werden, der Bergwind weht dabei bis unter den flattrigen Duschvorhang und lässt die Haut dort frösteln, wo gerade kein heißes Wasser hinkommt. Das Kinn befreit der Nassrasierer schnell und gründlich von seinen Stoppeln, er zieht sich an, geht die Treppen zum kleinen Frühstücksraum und genießt schon wenige Sekunden später den starken schwarzen Kaffee, den freundlichen Blick der alten Wirtin und das Panorama des Tals.

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