Als er ankommt, muss Herr Nipp zu seinem Unglück feststellen, dass die Tür mal wieder geschlossen ist und drinnen lärmt es so laut, dass ihn niemand hört, niemand hören kann, niemand hören wird. Wahrscheinlich haben sämtliche Anwesenden auch ihre gelben Stöpsel in den Ohren, um sich vor den schrillen und knallenden Tönen zu schützen. Mit präziser Wucht schlagen die Hämmer auf das glühende Metall, immer im Wechseltakt. Mit einem kleinen Hammer wird der Rhythmus gegeben, das Metallstück von der Zange gehalten; die Zwischenschläge, die das Metall in Form bringen, erfolgen mit dem langstieligen Schlosserhammer. Augenscheinlich ist das eine Spezialanfertigung, zumindest erscheint ihm die Fort des Hammerkopfes doch sehr speziell, so etwas hat er noch nie in einem Werkzeuggeschäft gesehen. Aber er weiß ja, dass der Kunstschmied, der hier arbeitet, seine Sachen zur Not selber herstellt, eben für seine Bedürfnisse zugeschnitten. Wie oft hat Herr Nipp schon beim Durchstreifen der Werkhalle Dinge, Werkzeuge und Gerätschaften gesehen, die wahrscheinlich nur für eine spezielle Arbeit, vielleicht das Blütenblatt einer Jugendstilblüte oder das Bein eines ehernen Grashüpfers, entwickelt worden sind. Und andere als Werkzeug erkannte Dinge stellten sich bei Nachfrage als Probestücke oder einfach als Schrott heraus. Man muss keine Ahnung haben, um dem Reiz des Metalls zu erliegen.
Mehrfach klopft er an die Scheibe, zunächst ganz höflich mit dem angewinkelten Zeigefinger, als würde er auf einer hölzernen Tischplatte bei irgendeiner Konferenz Applaus spenden, dann mit der ganzen Faust. Die Scheibe wackelt, findet aber jeweils recht schnell in ihren Ruhezustand zurück. Erst aber als er sein Feuerzeug hinter der Scheibe hin und her schwenkt, wird er bemerkt und eingelassen. Manchmal ist das Sehen und Gesehenwerden eben doch wichtiger als irgendwelches Aufmerksamkeitsgetöse. Der Mensch ist in erster Linie ein Augenwesen, auch wenn der Klang uns wesentlich mehr Stimmung vermittelt. Die Wege der Sinne sind unterschiedlich und manchmal kreuzen sie sich auch. Dann kommt es zu den sogenannten Synästhesien (wenn man es freundlich ausdrücken möchte), Fehlschaltungen im Gehirn, die bewirken, dass manche Auserwählte alles anders erleben. Idioten, denkt Herr Nipp bei sich manchmal – jedes Mal, wenn er selber seine Umwelt so erlebt, Klänge sieht und vor allem Berührungen als Farbformen wahrnimmt. Dass Gerüche rauschen können, wagt er dann kaum noch jemandem zu erzählen. Aber darüber soll hier eigentlich gar nichts gesagt sein, denn vielleicht ist es einfacher, über anderes zu schreiben.
Drinnen steht ein Kamerateam über die mittelgroßen Kontrollbildschirme gebeugt. Sie sind augenscheinlich selbst von ihren Bildern fasziniert. Kaum zu glauben, was passiert, wenn ein Film über das Schmieden die Prozesse in Zeitlupe präsentiert, wenn man dem einzelnen Funkenflug folgen kann, sieht, wie er aufschlägt und plötzlich verlöscht. Zu einem grauen oder schwarzen Staubteilchen verglüht, Metalloxid. Natürlich setzt der Schmied auch auf gewisse Effekte, die aber wird der Laie nicht erkennen, die sind lediglich für den Film gedacht. Wasser auf dem Amboss etwa bringt einen durchaus durchschlagenden Knalleffekt. Das Metall wird gefaltet, geteilt, wieder gefaltet und schnell haben sich mehrere hundert Schichten gebildet. Schnell heißt hier über einige Stunden hinweg. Fest mit einander verbunden, ehern für den Rest der Zeiten, könnte vielleicht voller Pathos angefügt werden, wenn es denn nicht so pathetisch wäre. Nur die Filmemacher reden, diskutieren über Perspektiven und Beleuchtung. Über die Bildfrequenz und Wechselwirkungen mit dem Halogenlicht. Der Schmied und seine Frau, sie machen ihr Werk, sie blicken sich nur an und jeder weiß, was zu tun ist. Ihre dünnen, aber sehnigen Arme schwingen mit einem perfekten Bewegungsablauf, bringen im entscheidenden Moment den Druck auf den Hammerkopf. Ohrenbetäubender Lärm, gefüllte Ohren. Selbstschutz, früher hat man Wachs, Talg und Watte in die Ohren gestopft, heute ist es Schaumstoff. Da wird die Sprache auf das äußerste verknappt. Entscheidende Worte fallen. Laut. Wortrümpfe. Alles andere bleibt ausgespart. Eine Hand an ihrer Hüfte im Vorübergehen drückt vielleicht mehr aus als alle Beteuerungen irgendwelcher modernen Urbanisten. Alle anderen sehen das und machen sich ihre eigenen Gedanken. Den beiden ist es wohl normal. Nur in der Arbeit kann wahrscheinlich solch eine innige Selbstverständlichkeit entstehen. Jeder weiß, wer der andere ist. Ein offener Blick, das Anstoßen zweier Flaschen Bier vielleicht noch.
Der Dammaststahl wird geschliffen, poliert, geätzt, am Ende steht eine wunderschöne Klinge, die Herr Nipp sich am liebsten mitnehmen würde, aber das geht nicht, außerdem hat er bereits eine schöne geschenkt bekommen und er traut sich nicht, sie zu benutzen. Er bewahrt sie als Relikt eines besonderen Jahres, ein Artefakt seiner Erinnerung, in der Vitrine auf. Solche Kunstwerke müssen selbst gemacht werden, selbst gemacht sein, denkt er. Nächstes Jahr will er selber dazu fähig sein, sich solch ein Messer herzustellen, am liebsten natürlich aus all den alten gesammelten Sägeketten, die in seinem Keller hängen. Überarbeitete Erinnerung und Erfahrung. Nutzlos geworden zu neuem Nutzen erhoben. Nein, das ist wieder zu pathetisch. Dann lieber damit abschließen, dass er später noch mit in die Stadt ziehen wird. Das ist auch eine Form von Glück.